Hallo!
Spätestens wenn die Volljährigkeit erreicht hat, werden unter Freunden oder im Familienkreis die klassische Frage auftauchen: "Und? Wann machst du deinen Führerschein?" Oder die jungen autistischen Erwachsenen fangen an ihre Eltern zu beknien: "Darf ich? Moritz macht auch einen Führerschein! Ich gebe auch was dazu!" Tja, aber geht das denn mit Autismus überhaupt? Dürfen AutistInnen den Führerschein machen? Genau darum soll es in dem heutigen Beitrag gehen. Auch bei diesem Thema gilt: das muss selbstverständlich jeder für sich selbst entscheiden, aber ich möchte euch Anregungen zu diesem Thema geben, damit ihr eine für euch optimale Entscheidung treffen bzw. zielgerichteter diskutieren könnt.😉 Ich selber habe keinen Führerschein und werde höchstwahrscheinlich auch keinen machen. In diesen Beitrag spielen daher hauptsächlich mein Wissen über Autismus und meine Gründe rein, weswegen ich mich dafür entschieden habe, keinen zu machen.
Grundsätzlich dürfen AutistInnen den Führerschein machen.
Das ist schon mal die wichtigste Kernaussage dieses Beitrags. Bei Autismus handelt es sich weder um eine körperliche noch eine geistige Behinderung, darum spricht grundsätzlich erst einmal nichts dagegen. Für viele autistische Menschen ist Autofahren sogar wahnsinnig entspannend. Ich selber liebe das mitfahren über alles und könnte stundenlang in einem Auto verbringen. Ich bin sogar auf einem Privatgrundstück schon selbst gefahren - auch das hat mir riesigen Spaß gemacht. Aber: dort waren keine anderen Verkehrsteilnehmer, keine Verkehrszeichen und wenig Reize, auf die es zu achten galt.
Schwierigkeiten durch Autismus im Straßenverkehr
Das große Problem am Auto fahren ist nicht, dass ich es nicht hinkriegen würde, das Auto zu steuern. Selbst wenn man nicht gut schalten kann - dafür gibt es ja heutzutage Automatikautos. Mein Problem wären die dutzenden Dinge, die ich gleichzeitig beachten müsste:
- das Auto steuern
- auf Verkehrsregeln achten (wer hat Vorfahrt, darf ich jetzt hier abbiegen?)
- Straßenschilder registrieren
- auf die anderen Verkehrsteilnehmer zu reagieren
- aufpassen, dass ich nicht zu schnell fahre
Autismus geht mit Schwierigkeiten in der Reizverarbeitung und Wahrnehmung einher. Das führt dazu, dass AutistInnen häufig dann Probleme haben, wenn zu viele Dinge gleichzeitig auf sie einströmen. Im Straßenverkehr ist aber genau das dauerhaft der Fall. Sie müssen dutzende Reize gleichzeitig wahrnehmen und verarbeiten. Das kann sehr anstrengend sein und im schlechtesten Fall zu Reizüberflutungen führen. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber daran und wenn man ausreichend Pausen einlegt, ist das für viele AutistInnen nach einer gewissen Eingewöhnungszeit kein großes Problem mehr.
Im Straßenverkehr ist es allerdings auch häufig erforderlich, vorherzusehen, wie die anderen Verkehrsteilnehmer voraussichtlich gleich agieren werden. Neurotypische Verkehrsteilnehmer halten sich ja logischerweise nicht immer hundertprozentig an die Verkehrsregeln (was natürlich auch durch Fehler passieren kann, das kann auch AutistInnen passieren, ist schließlich menschlich). Nun sind AutistInnen aber leider nicht gerade dafür bekannt, dass es ihnen besonders leicht fällt, sich in ihre Mitmenschen hineinzuversetzen... Ihr wisst was ich meine. Auch das Problem könnte man aber vielleicht überwinden, wenn der Fahrlehrer immer wieder erklärt, warum die andere Person vermutlich so gehandelt hat. Im Verkehr passieren ja immer wieder ähnliche Situationen, die sich dann auch bei AutistInnen mit der Zeit einprägen.
Ein Problem ist allerdings, wenn AutistInnen Probleme damit haben, Reize sofort zu verarbeiten und darauf zu reagieren. Die Geschwindigkeit der Reizverarbeitung kann bei AutistInnen nämlich herabgesetzt sein, weswegen viele lieber auf Zettel und Stift oder Emails zurückgreifen, da sie aufgrund der Schriftform, die Information in "ihrem Tempo" verarbeiten können. Im Straßenverkehr ist aber quasi eine "just-in-time"-Reaktion notwendig. Reiz (z. B. Straßenschild, Fußgänger der plötzlich über die Straße läuft) kommt - Autist muss sofort reagieren (in beiden Fällen vermutlich bremsen). Wenn das nicht funktioniert, wird es gefährlich. Für alle Beteiligten.
Vorteile des Autismus beim Autofahren
AutistInnen sind häufig unheimlich regeltreu, es fällt ihnen sehr schwer, irgendwelche Vorschriften, die sie einmal verinnerlicht haben, zu brechen. Es ist davon auszugehen, dass ein Autist höchstselten schneller fährt, als er sollte oder gar bei rot über die Ampel brettert. Wenn ich zum Beispiel bei meinem Papa im Auto mitfahre, weise ich ihn immer sofort darauf hin, dass er gerade zu schnell fährt (er hat praktischerweise auch noch ein Signal, das ertönt, wenn das der Fall ist).
Probiert es doch einfach mal aus!
Probieren geht über studieren. Ihr werdet nie wissen, ob Auto fahren etwas für euch ist, oder ob es euch überfordern würde, wenn ihr es nicht einmal ausprobiert. Geht in eine Fahrschule und sprecht mit einem Fahrlehrer. Ihr müsst eure Diagnose nicht offen zugeben, günstig wäre es aber. Der Fahrlehrer weiß dann besser, worauf er bei euch achten muss. Also vielleicht, dass kein Radio beim Autofahren läuft oder dass ihr während einer Fahrstunde möglicherweise kleinere Pausen braucht, um euch von den Reizen zu erholen. Das ist garantiert möglich. Nach ein paar Stunden habt ihr bestimmt schon einen besseren Eindruck, ob das gut für euch funktioniert, oder lieber weiter mit der Bahn und dem Bus fahrt. Zusätzlich hat euch der Fahrlehrer ein bisschen beobachtet und kann Hinweise geben, welchen Eindruck er von eurer Idee hat, den Führerschein zu machen. Und wenn ihr dann feststellt, dass ihr lieber doch keinen Führerschein machen wollt, dann ist das vollkommen in Ordnung so. In den allermeisten Städten kommt man auch ohne Führerschein gut durchs Leben. :-)
Lasst euch nicht unter Druck setzen von anderen und habt einen schönen Tag.
Anne
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