Autismus und Schule: Gruppenarbeiten

Guten Tag!

Falls ihr noch Schüler seid: Ich weiß ja nicht wie es euch geht, aber für mich gab es in der Schule (mit Ausnahme von Ausdauer im Sport) nichts ätzenderes als Gruppenarbeiten. Bis ich meinen Realschulabschluss gemacht habe, war die Schulzeit Gott sei Dank eher vom klassischen Unterricht geprägt (Lehrer steht vorn an der Tafel und vermittelt den Unterrichtsstoff, die Schüler wirken mündlich mit, gehen ab und zu an die Tafel und sitzen an sich aber an ihren Einzeltischen). Gruppenarbeiten waren zum Glück eher selten und meistens innerhalb von einer Unterrichtsstunde abgearbeitet und dann ging es wieder normal weiter. In der Berufsschulzeit wurden wir leider deutlich häufiger zu Gruppenaufgaben aufgefordert, und das meistens auch noch über mehrere Unterrichtsstunden hinweg. Als wir eine Lehrerin mal nach dem Grund gefragt haben, meinte sie, dass sie durch den Lehrplan verpflichtet wäre, diese Art von Aufgaben verstärkt zu geben. Ich habe daher die Befürchtung, dass das inzwischen auch die Mittelschüler ereilt. 

Warum überhaupt Gruppenarbeit?

- Die Schüler sollen sich den Unterrichtsstoff selbstständig erarbeiten und bekommen ihn nicht von der Lehrkraft "vorgebetet". Dadurch sollen sie die Kompetenz erwerben, sich selbst Wissen anzueignen. Das brauchen sie ja im späteren Berufsleben auch.

- Konflikt- und Kritikfähigkeit wird gesteigert, die Kinder müssen sich ja mit den anderen auseinandersetzen, wobei auch durchaus andere Meinungen über die Umsetzung der Aufgabe vertreten sein können.

- Die Kinder sollen lernen sich die Aufgaben gleichmäßig und gerecht untereinander aufzuteilen - es soll eine Art Team entstehen.

- Es soll zur Auflockerung des Unterrichts dienen, es wird befürchtet, dass der klassische Frontalunterricht anstrengend für die Kinder ist.

Warum ist Gruppenarbeit für autistische Schüler eher ungeeignet?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Gruppenarbeit auch für nicht-autistische Kinder in aller Regel eher nervig ist, als dass sie diese Aufgabenform genießen und schätzen. Zumindest unter meinen Mitschülern kenne ich ehrlich gesagt niemanden, der je begeistert war, wenn wir dazu aufgefordert worden sind. Und die waren alle neurotypisch. Autistische SchülerInnen können von dieser Aufgabenform aber sogar überfordert sein. Warum?

- Gruppenarbeiten sind in der Regel unstrukturiert. Die Kinder haben keinen klaren "Fahrplan" wie sie vorgehen sollen. (Was ja eigentlich Sinn der Gruppenarbeit ist - sie sollen ja Selbstständigkeit erlangen.) 

- Diese Unterrichtsform ist für die Kinder ungewohnt, das macht autistische Schüler in der Regel unruhig.

- Sie müssen teilweise mit Mitschülern zusammenarbeiten, zu denen sie keine besonders gute Bindung haben. Das kann dazu führen, dass sie sich nicht trauen, ihre Gedanken zu dem Thema beizutragen, was die Arbeit einerseits nicht leichter macht. Zum anderen frustriert es aber auch die Mitschüler, weil es so wirkt, als würde derjenige nicht mitarbeiten wollen. Im ungünstigsten Fall wirkt das auch auf die Lehrkraft so, und der Schüler bekommt eine schlechtere Note. 

- Bei Gruppenarbeiten ist es in der Regel lauter und lebhafter, weil sie von Diskussionen geprägt sind. Beim Frontalunterricht ist es dagegen viel ruhiger. Bei autistischen Kindern kann der höhere Lautstärkepegel zu Reizüberflutungen, mindestens aber vielleicht zu Unkonzentriertheit führen.

- Manche Kinder nutzen vielleicht aus, dass die Lehrkraft sie mal weniger beobachten und nutzen die Zeit zum quatschen. Die Arbeit bleibt dann vielleicht an dem autistischen Schüler hängen, weil er sich nicht am Smalltalk beteiligt und es nicht aushalten kann, dass die Aufgabe nicht erledigt wird. Das ist natürlich unfair.

- Hinterher ist vielleicht unklar, ob alle wichtigen Informationen erwischt wurden, bzw. kann mit dem selbst-erarbeiteten Material nicht gelernt werden. Auch wenn hinterher meist noch mal alles besprochen wird, fühlen sich autistische Schüler meist unsicher, weil das selbst ausgearbeitete Material in der Regel unstrukturiert ist und sie es darum nicht sinnvoll verwerten können. Sie brauchen oft das strukturierte Tafelbild der Lehrkraft. (Manchmal ist es ja auch wie ein Puzzle, weil verschiedene Kinder verschiedene Informationen beigetragen haben, das macht es noch mal schwerer.)

Was können Lehrer verbessern, damit die Gruppenarbeit auch für Autisten funktioniert?

Natürlich könnte man mit diesen Hintergrundinformationen sagen, dass autistische Kinder von solchen Aufgaben einfach grundsätzlich entbunden werden sollten. Das ist meiner Meinung nach aber nicht sinnvoll. Denn an sich ist es ja eine gute Übung für sie, sich mit ihren Klassenkameraden auseinanderzusetzen. Es ist eine Art Sozial-/Kommunikationstraining, das man ihnen auf gar keinen Fall vorenthalten sollte. Sie erleben somit ja auch die Chance selbstständig ihr Wissen zu erweitern. Alles sinnvolle Punkte. Ich bin der Meinung, dass ein paar kleine Anpassungen reichen würden, damit es auch für autistische Schüler eine hilfreiche Lernerfahrung sein kann. Hier wären vor allem für Lehrkräfte autistischer Kinder ein paar Anregungen. Vielleicht wäre das auch für neurotypische Kinder gar nicht so schlecht...

- Geben Sie strukturierte Arbeitsblätter aus, z. B. Lückentexte oder Tabellen in die, die Kinder die notwendigen Informationen ergänzen. Die Arbeit können sich die Kinder ja dann immer noch aufteilen. So ist der Arbeitsauftrag schon viel klarer und alle Kinder haben dieselben aufbereiteten Informationsblätter.

- Teilen Sie die Gruppen nach Möglichkeit selber ein und achten Sie darauf, dass immer ein für das autistische Kind sehr bekannter Freund/Freundin mit in der Gruppe ist. 

- Erlauben Sie dem Kind während der Gruppenarbeit schriftliche Kommunikation. So kann es die Gruppenmitglieder seine Gedanken mitteilen und die durch den Autismus vielleicht ausgelöste Sprachbarriere ist nichtig. Wenn es öfter Gruppenarbeiten macht und sich an die andere Zusammenarbeit mit den Kindern gewöhnt, spricht es irgendwann möglicherweise von ganz allein.

- Wenn es für das Kind während der Gruppensituation unerträglich laut wird, wären u. U. Ohrenstöpsel eine Lösung. Oder das Kind bekommt eine Aufgabe zugewiesen, die es selbstständig an einem anderen Tisch absolviert und anschließend den Gruppenmitgliedern zur Verfügung stellt. So kann es trotzdem seinen Beitrag an der Gesamtaufgabe leisten, wird aber nicht überfordert. 

- Besprechen Sie vorher, wie sich bei der Gruppenarbeit verhalten werden soll, was Sie als Endergebnis erwarten. Außerdem kann es sinnvoll sein, wenn Sie vorher noch einmal erklären, wie die Aufgaben sinnvoll verteilt werden könnten. Begleiten Sie die Schüler während diesem Prozess und stehen Sie zwischendurch immer mal wieder als Ansprechpartner zur Verfügung. (Später kann Beobachtung genügen.)

- Stellen Sie Time Timer/Sanduhren, etc. zur Verfügung und geben Sie eine klare Arbeitszeit vor. Damit ist ersichtlich, wie lange der ungewohnte Prozess noch dauern wird. 

Wichtig: Auch wenn Sie Gruppenarbeiten schon mehrfach mit den Kindern gemacht haben, kann es bei manchen autistischen Schülern notwendig sein, die geltenden Regeln/Aufforderungen vor jeder Gruppenarbeit noch einmal zu wiederholen. Teilweise genügt ein Zettel, auf dem die wichtigsten, zu beachtenden Dinge, draufstehen - manchmal ist aber auch bei jeder Gruppenarbeit ein intensives Durchsprechen erforderlich. Es ist und bleibt nun mal eine soziale Situation, die für autistische Menschen jeglicher Altersstufe nicht unbedingt zu den Stärken zählt. 

Hier noch ein heißer Tipp an die autistischen Schüler: viele Lehrkräfte sind nicht speziell auf den Umgang mit autistischen Kindern geschult. Sie wissen teilweise nicht, was ihr braucht, damit ihr besser arbeiten könnt. Aber ihr seid doch Profis im Umgang mit euch! Gebt ihnen doch einfach mal Bescheid, was euch helfen würde, damit ihr die Aufgaben besser bewältigen könnt!

Viel Spaß beim ausprobieren!
Anne

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