Meine TOP 3 der nervigsten Sprüche von Neurotypen

Guten Tag,

heute möchte ich euch die Top 3 an Sätzen vorstellen, die Autisten häufig von neurotypischen Menschen zu hören bekommen, die die meisten von uns aber schlichtweg nicht mehr hören können. 

1. "Du siehst gar nicht autistisch aus!"

No Shit, Sherlock! 🙎 Achtung: Spoiler - Das geht auch gar nicht! Autismus ist eine seelische Behinderung, die sich null Komma gar nicht auf unser körperliches Aussehen auswirkt! In unserem Inneren löst sie eine ganze Menge aus (Reizverarbeitung, Empfindung von Emotionen, Fähigkeit sich in andere Menschen hineinzuversetzen, Kommunikation, ...), von außen sieht man uns Autismus aber überhaupt nicht an, wenn wir uns nun nicht gerade "auffällig" (z. B. mit Oberkörper vor- und zurückschaukeln) verhalten. 

Ich weiß, dass das eigentlich ein Kompliment sein soll, wie unauffällig wir sind. Gleichzeitig schwingt im sogenannten Untertitel mit: "Du bist so perfekt angepasst, dass ich das hervorheben und loben möchte." Euch ist aber höchstwahrscheinlich nicht klar, wie unfassbar anstrengend es ist, sich so stark an die neurotypische Welt anzupassen. Es wirkt wie eine Schwäche, sich autistisch zu verhalten, sonst müsste man das Gegenteil ja gar nicht so stark erwähnen. Das bringt uns wieder dazu, uns weiter zu verstellen, obwohl es wesentlich gesünder für uns wäre, einfach wir selbst zu sein - auch wenn wir dann durchaus mal auffälliger sind. Gleichzeitig schwingt aber auch ein gewisser Zweifel in diesem Satz mit (Bist du dir da wirklich sicher mit der Diagnose?! Du wirkst doch ganz normal...)

Angenehmer: Dein Autismus ist mir bisher gar nicht aufgefallen, offenbar gibst du dir sehr viel Mühe, damit es keiner merkt. Danke für deine Offenheit. 

2. "Autismus ist doch auch so eine Mode-Diagnose."

Nein, nein und noch 1000 x nein. Autismus ist eine unheilbare Entwicklungsstörung, die man nicht einfach mal so vom Hausarzt übergeholfen bekommt. Um eine solche Diagnose zu bekommen, sind mehrere Tests (u. a. Fragebögen, IQ-Test, Gespräche - u. a. auch mit Angehörigen, mehrere Verhaltenstests) bei speziell qualifizierten PsychologInnen notwendig. Es darf bei weitem nicht jeder Psychologe eine solche Diagnostik ausstellen. Ja, es gibt leider Gottes verdammt viele Fehldiagnosen. Aber nicht, weil es irgendwie chick/cool/in ist, Autist zu sein, sondern weil ein paar Persönlichkeitsstörungen Autismus in den Symptomen sehr ähneln und dadurch verwechselt werden können. Bitte denkt einfach vorher nach, bevor ihr solche Sätze raushaut. Ohne Scheiß - jeder der wirklich Autismus hat, wünscht sich früher oder später nichts sehnlicher, als neurotypisch zu sein, weil er unfassbar einschränkend und unglaublich anstrengend ist. Für Menschen die an einer Autismus-Spektrums-Störung leiden, ist so ein Spruch schlichtweg wie eine Ohrfeige, weil uns damit sämtliche Schwierigkeiten und Probleme die wir im Alltag erleben müssen, abgesprochen und für nichtig erklärt werden. Er sagt aus: "So schlimm kann es doch nicht sein, das hat doch heutzutage jeder Dritte." 

Angenehmer: Es gibt nichts, dass eine solche Aussage irgendwie angenehmer klingen lässt, bzw. den Sinn verändert. Verkneift es euch einfach. Bitte.


3. "Ich mag auch keine Menschenmassen - vielleicht bin ich auch AutistIn!"

Ja, es besteht die Möglichkeit, dass auch du, lieber Gesprächspartner ein Autist/eine Autistin bist. In  
99 % aller Fälle wird das aber nicht der Fall sein! Jeder neurotypische Mensch findet in sich in irgendwas das wir als Symptome schildern, wieder. Das ist ganz logisch und normal. Wir sind ja keine Aliens, denen z. B. die Abneigung gegenüber größeren Menschenmengen, bzw. die Unfähigkeit Smalltalk zu halten, vorbehalten ist. Es handelt sich dabei grundsätzlich um ganz normale menschliche Verhaltensweisen/Empfindungen. Der Unterschied zwischen neurotypischen Menschen, die bestimmte Dinge, die bei Autismus auftreten, bei sich wiedererkennen und echten Autisten:
  • die Intensität der Schwierigkeiten, die wir erleben 
Passiert es dir auch, dass du nach einem Tag unter vielen Menschen einen Shutdown erlebst, wo du bis zu einer dreiviertel Stunde irgendwo liegst/sitzt, nichts mehr wahrnimmst und keinen Plan hast, wie lange du weg warst und hinterher vollkommen erschöpft bist? Oder sind dir Menschenmengen vielleicht doch einfach nur nicht unbedingt geheuer? Antwortest du auch auf die Aussage "Schönes Wetter heute" mit dem Wetterbericht und der zu erwartenden Niederschlagsmenge, weil du nicht verstanden hast, dass es sich dabei um ein Gesprächseinstieg halten soll? Oder bist du vielleicht doch einfach nur schüchtern und weißt nicht so richtig, was du sagen sollst, weil du Small Talk bescheuert findest? 

Das sind jetzt Extrembeispiele, aber ich denke, ihr wisst, worauf ich hinaus will...
  • die Menge an Schwierigkeiten im Alltag
Ein oder zwei Verhaltensweisen/Abneigungen/Schwächen, die auch bei Autismus auftreten können, machen noch lange keinen Autismus. Ihr seid vielleicht nicht so gut im Smalltalk und fühlt euch in Menschenmengen nicht wohl. Um eine Autismus-Diagnose zu erhalten, müssen aber folgende Diagnosekriterien zutreffen:


Na? Wollt ihr eure Theorie, dass ihr evtl. auch Autismus habt, weil ihr euch in X, Y oder Z wiedererkennt noch mal überdenken, wenn wir all diese Dinge lest? 

Es liegt in der Natur des Menschen, sich mit anderen Menschen zu vergleichen und über Vergleiche eine Beziehung herzustellen. Das ist vollkommen normal. Er bedeutet aber auch, dass ihr (höchstwahrscheinlich ungewollt) unsere Erfahrungen runterspielt. Diagnostizierte Autisten wissen, dass viel mehr zu dieser Diagnose gehört, als nur das winzige Puzzleteil, dass ihr bei euch wiedererkennt. Und vor allem werdet ihr es nie in derselben Intensität erleben, wie autistische Personen. Wenn ihr die Schwierigkeiten die ihr erlebt, mit denen vergleicht, die wir durch den Autismus erleben, fühlen wir uns einfach krass unverstanden...

Angenehmer: Ich mag Menschenmengen auch überhaupt nicht. Was löst das in dir aus? (Bzw. wenn man wirklich den Verdacht hat, dass man Autismus haben könnte: Ich habe teilweise Verdachtsmomente. Wohin könnte ich mich wenden, wenn ich das überprüfen möchte?)

An die AutistInnen unter euch: Welche Sätze könnt ihr nicht mehr hören? An die Neurotypen: ich weiß, dass ihr das nicht böse meint. Ihr könnt die Bandbreite dieser Störung überhaupt nicht komplett begreifen - wie gesagt - es dürfen nicht mal alle PsychologInnen eine solche Diagnostik machen, wie sollt ihr es dann schaffen? Ich wollte euch mit diesem Beitrag lediglich mal unsere Sichtweise dazu eröffnen...

Habt einen schönen Tag.
Anne


Quelle Bild Diagnosekriterien: https://autismus-kultur.de/autismus/dsm-5-diagnosekriterien.html

Kommentare