Autismus und Spontanität

Hallo,

welche Erfahrungen habt ihr gemacht, wenn ihr eine(n) Autistin/Autisten in eurem Bekannten/Familien-kreis gefragt habt, ob er/sie z. B. spontan morgen zum Kaffee trinken kommen möchte? Also meine Familie erlebt vom Prinzip her immer das gleiche - ich lehne erst einmal ab und bekomme schlechte Laune. Ich hasse spontane Einladungen. Besonders wenn ich das Gefühl habe, dass derjenige auch direkt eine Antwort haben möchte. Selbstverständlich freue ich mich, wenn meine Lieblingsmenschen (also z. B. meine Familienmitglieder) mit mir Zeit verbringen möchten und ich verbringe auch gern Zeit mit ihnen - gleichzeitig bin ich aber überfordert, wenn spontan eine solche Frage an mich herangetragen wird. Es ist dabei vollkommen irrelevant, ob ich bereits etwas zu dem Zeitpunkt mir vorgenommen habe oder noch kein Plan besteht, die Anfrage kommt schlichtweg zu überraschend. 

Viele Menschen im Autismus-Spektrum haben Schwierigkeiten (besonders mündliche) Anfragen sofort zu verarbeiten und spontan darauf zu reagieren. Darum sage ich auch immer erst einmal nein - weil ich so schnell nicht für mich abprüfen kann, was negativ und positiv für mich wäre, wenn ich Entscheidung A oder B treffen würde. Gleichzeitig ärgere ich mich darüber, dass ich nein sage, weil ich ja niemand enttäuschen möchte und ja selbst noch nicht weiß, ob das die richtige Entscheidung für mich ist. Darum bekomme ich dann wie schon erwähnt, schlechte Laune, die sich auch durchaus dann durch den ganzen Tag ziehen kann.

Ganz schwierig ist es auch, wenn Dinge, die fest ausgemacht sind, sich verändern. Ich habe eine neurotypische Person in meinem Umkreis, die grundsätzlich zu spät zu Treffen kommt. Es lief schon sehr oft so ab, dass wir uns z. B. für 17:30 Uhr am Bahnhof verabredet haben und 17:15 Uhr kommt eine Nachricht: "Sorry, ich schaffs nicht ganz, komme 18:00 Uhr oder 17:50 Uhr. Ich sitze dann da und kämpfe gegen einen Meltdown an, weil das den kompletten Plan durcheinander würfelt. Es war in meinem Nachmittagsplan überhaupt nicht eingeplant, mich noch 20 - 30 min alleine zu beschäftigen. Wie soll ich bitte diese uneingeplante Zeit füllen, mit der überhaupt nicht zu rechnen war?

Was wäre perfekt?
  • Einladung sollte mind. 2 Tage vorher kommen.
Wie viel Vorlaufzeit gegeben werden sollte, hängt natürlich auch von der jeweiligen Person ab. Bei mir wären aber 2 Tage aber schon mal viel angenehmer. Je länger ich im Voraus über das geplante Treffen Bescheid weiß, desto höher ist auch meine Freude darauf. Weil ich in der Zwischenzeit alle für mich interessanten Punkte abklären konnte. Ich verbringe wie gesagt gern Zeit mit meiner Familie, aber es ist unfassbar wichtig für mich, dass es nicht überraschend kommt, sondern ich mir das in Ruhe in meine Pläne einordnen kann. Ich weiß, dass das nicht immer funktioniert, aber dann sagt uns bitte so früh wie möglich Bescheid!

  • Sagt uns so viele Details wie möglich.
Wenn ihr uns einladet, sagt bitte nicht so was wie "Lass dich überraschen." Dann müsst ihr ggf. schon wieder mit einem nein rechnen. Am allerbesten ist es, wenn ihr uns schon unaufgefordert Details verratet.

- Wer kommt alles?
- Was kann/soll ich alles mitbringen?
- Was machen wir?
- Was gibt es zu essen? (Also wenn ihr uns zum Abendbrot/Mittagessen einladet) 
- Wie lange ist das Treffen in etwa geplant? 
  • Kündigt an, dass ihr eine Entscheidung haben wollt.
Unsere Entscheidung, ob wir an einem Treffen teilnehmen wollen, kann komplett konträr ausfallen, wenn wir genug Zeit haben uns zu entscheiden. Manchen AutistInnen kann es helfen, wenn ihr z. B. sagt: Ich frage dich heute Abend, ob du morgen Abend am Grillen teilnehmen möchtest. Je nachdem wie kurzfristig die Entscheidung gefällt werden muss, reicht teilweise auch eine Vorlaufzeit von 5 min. Also "Ich frage dich in 5 min, ob du mit zum einkaufen gehen möchtest." Es ist dann nicht mehr so überfordernd, weil nicht so krass überraschend. Wir können ja dann schließlich schon abwägen und müssen nicht spontan entscheiden... 
  • Legt euch bitte, bitte fest.
Für einen autistischen Menschen ist nichts schlimmer, als wenn er zu hören bekommt: "Müssen wir mal sehen!" / "Kann ich jetzt noch nicht sagen." / "Das entscheiden wir nachher." Neurotypen legen sich nicht gern fest, ich kann das verstehen - ihr seid nun mal spontan, während wir uns an Plänen und Routinen richten (auch wenn diese nicht unbedingt verschriftlicht sind). Uns blockiert das aber richtig krass. Macht es Sinn, jetzt noch Aktivität XY zu machen? Oder ruft die Person dann an und will sich plötzlich treffen? Dann müssten wir die Aktivität ja unterbrechen und plötzlich uns auf etwas ganz anderes einstellen... Uns würde es massiv entgegen kommen, wenn ihr einfach mal sagen würdet: "Ja, wir treffen uns 15:00 Uhr." 
  • Wenn ihr den Plan ändern müsst, nennt uns eine Alternativlösung. 
Mir ist klar, dass ihr euch nicht immer hundertprozentig an einen Plan halten könnt, das können wir ja auch nicht. Manchmal kommt einfach etwas dazwischen. Es hilft uns aber, wenn ihr uns z. B. für ein Treffen, was nicht stattfinden kann, direkt ein Ersatztreffen vorschlagt, dann verschiebt sich der ausgefallene Tagesordnungspunkt nur auf einen anderen Tag, anstatt komplett wegzufallen, das macht es leichter. Außerdem wäre es wichtig, dass ihr uns für die dadurch im Plan entstandene Lücke eine andere Beschäftigung nennt. Denn eine solche Lücke lässt sich nicht so einfach überspringen - auch wenn wir das gern möchten, die Fähigkeit besitzen wir nicht. 
  • Kündigt uns an, wenn ihr ein Telefonat/Treffen beenden wollt.
Das ist bei mir einer der wichtigsten Dinge, die Neurotypen im Umgang mit mir berücksichtigen sollten. Zumindest wenn das Telefonat sehr lange ging und plötzlich will das Gegenüber auflegen, sorgt das für Chaos bei mir. Das ist ja dann urplötzlich eine irre Umstellung - von telefonieren zu plötzlich nicht mehr telefonieren... Viel entspannter für uns ist es, wenn ihr sagt: "So, ich würde in 5 min gern auflegen wollen." Dann können wir uns darauf einstellen und dann ist es auch okay. 

Das wären so die wichtigsten Punkte, die AutistInnen in jedem Fall entgegen kommen würden und das Leben auch für euch erleichtern würden, weil der Umgang mit uns wesentlich entspannter und unkomplizierter wird. Wichtig: Ihr müsst jetzt nicht immer hundertprozentig alles berücksichtigen - ein Kumpel bringt mir z. B. gerade bei, dass ich aushalten kann, wenn ich weiß - wir treffen uns, aber noch nicht weiß was mir machen und wie lange, bzw. ich weiß wir gehen spazieren - aber noch nicht: wohin. Besonders wenn es etwas ist, was wir richtig gern machen, können wir sogar ausnahmsweise richtig spontan sein! Es geht auch nicht direkt die Welt unter, wenn ihr euch nicht an diese Richtlinien haltet, aber es ist für alle Beteiligten entspannter und stressfreier, wenn ihr es tut.

Probiert es doch einfach mal aus, ihr werdet überrascht sein!
Habt einen schönen Tag.
Anne

Kommentare