Autismus und Mimik - Teil 2

 Guten Tag,

letzte Woche habe ich darüber geschrieben, wie schwierig es für Menschen im Autismus-Spektrum ist, über die Mimik des Gegenübers herauszufinden, wie es ihm geht. Heute möchte ich Anregungen geben, wie es besser werden kann, was helfen kann und wie Neurotypen dazu beitragen können, uns das Leben in diesem Bereich ein bisschen leichter zu machen. 

Wie können wir die Fähigkeit Mimik zu deuten verbessern?

Ich weiß, dass es einige AutistInnen gibt, die diese Fähigkeit grundsätzlich gern verbessern würden und sich ungern damit zufrieden geben, dass sie es durch ihren Autismus eben nicht können. Nur wie? In Teil 1 habe ich schon beschrieben, dass es kaum sinnvolle Trainingsprogramme gibt, mit denen man das Mimik lesen erlernen kann. (Zumindest keine, die man im Selbststudium nutzen kann.) Die meisten trainieren tatsächlich eher unser Gedächtnis. Mir fallen aber ein paar Übungsmethoden ein, die eher unkonventionell sind, aber vielleicht funktionieren sie ja... 

1. Daily-Soaps und Filme anschauen und analysieren.

Filme und Serien haben eine begrenzte Spielzeit. Das bedeutet, dass die SchauspielerInnen innerhalb kurzer Zeit die Zuschauer "abholen" und ihnen klarmachen müssen, warum sie sich als Figur so verhalten, wie sie sich verhalten/wie sie sich in den einzelnen Situationen fühlen und wie die Situation entstanden ist. Aus dem Grund sind die meisten SchauspielerInnen Meister darin, Gefühle darzustellen und mit begleitenden Handlungen zu erklären, denn die Zuschauer haben ja keine Vorinformationen über die Figuren. Zusätzlich werden emotionale Szenen noch mit Musik begleitet. Ist der Protagonist traurig, wird auch traurige Musik dargestellt. 

Autisten können über das schauen von Serien/Filmen möglicherweise lernen, das Verhalten von Menschen mit Gefühlen zu verbinden, statt sich auf die Mimik zu konzentrieren, die für uns in der Regel ohnehin ein Rätsel ist. Ein wütender Mensch guckt zum Beispiel nicht nur wütend, sondern er schlägt vielleicht auch mit der Faust auf den Tisch, brüllt herum oder wirft Sachen durch die Gegend. Am Anfang ist es natürlich hilfreich, wenn ein Freund/eine Freundin die Serie mitschaut und sofort erklären kann, warum die Person sich so verhält, wie sie sich verhält, wenn Irritationen auftreten. 

(2) Immer wieder versuchen Gefühle bei Freunden/Familie zu erkennen und fragen

Diese Übungsmethode verfolge ich aktuell. Ich versuche jeden Morgen herauszufinden, wie mein Kumpel sich fühlt. Zuerst beobachte ich intensiv seine Mimik und achte auf die Stimme und gleiche das was ich sehe/höre mit den Erfahrungen ab, die ich mit ihm schon gesammelt habe. Anschließend entscheide ich mich für eine Emotion, die er haben könnte und frage ihn anschließend: "Wie geht es dir?" Er antwortet in der Regel bereitwillig auf die Frage. So habe ich die Möglichkeit langsam aber sicher herauszufinden, wie er zum Beispiel schaut, wenn er traurig, müde oder sehr fröhlich ist. Die Übungsmethode ist hier quasi "Learning by Doing". Ich probiere die Emotion zu erkennen und gleiche mein Ergebnis mit ihm ab. 

Welche Hilfsmittel könnten hilfreich sein, um die Schwierigkeiten auszugleichen?

Ich hoffe ehrlich gesagt darauf, dass "Google Glasses" irgendwann in Deutschland zugelassen wird. Die interaktive Brille kann nämlich Emotionen im Gesicht des Gegenübers erkennen und gibt ihrem Träger in Echtzeit das Gefühl aus. Es würde dann zum Beispiel im Sichtfeld eingeblendet werden "Person ist traurig". Sie würde uns das ständige Rätselraten und grübeln ersparen. Haken an der Sache: sie ist in Deutschland aus Datenschutzgründen nicht erlaubt. Sie ist demzufolge noch nicht als Hilfsmittel zu gebrauchen. 

Eine Alternative habe ich bei "Club der Roten Bänder" kennengelernt. Einer der dargestellten Personen ist Toni, ein Asperger-Autist. Sein Opa hat ihm ein Heft gestaltet, wo er verschiedene Emotionen dargestellt und beschriftet hat. Wenn Toni also herausfinden möchte, wie eine Person sich fühlt, blättert er in seinem Nachschlagewerk und gleicht die Fotos mit dem Gesicht des Gegenübers ab. Die Idee dahinter finde ich grundsätzlich gut. In der Praxis ist es allerdings schwer nutzbar, da unterschiedlichste Personen die Gefühle jeweils auf ihre persönliche Art ausdrücken, man wird also nie hundertprozentig denselben Gesichtsausdruck in dem Heft finden, der identisch mit dem ist, den derjenige aufgelegt hat, der in dem Heft fotografiert wurde. Das führt dann wieder zu Irritationen auf Seiten des Autisten. Zusätzlich dauert es natürlich seine Zeit, um das passende Gesicht zu finden und auch noch richtig zu identifizieren. Die meisten Menschen werden aber keine Lust haben, sich so lange und intensiv anschauen zu lassen. Auch das ist also kein wirklich alltagstaugliches Hilfsmittel.

Um es kurz zu machen: bisher ist mir kein Hilfsmittel bekannt, dass Autisten wirklich hilft Mimik im Gesicht des Gegenübers korrekt zu deuten. Was kann also stattdessen helfen? Hier müssen die Neurotypen mitspielen! 

Was können Neurotypen tun, um uns das Leben trotz der Schwierigkeit zu erleichtern?

  • Gefühls-Smileys oder eine andere Art von Skala
Auf meiner Arbeit habe ich schon in mehreren Klassenzimmern Smileys hängen sehen. Rot = sehr schlecht drauf, gelb = lass mich lieber in Ruhe, ich bin nicht gut drauf, grün = ich bin für jeden Spaß zu haben. Dazu gibt es Namensklammern (mit allen Kindern der Klasse). Beim Betreten des Klassenraums können die Kinder ihre Klammer an die passende Gefühlslage klemmen. Ein autistischer Schüler (und natürlich auch die anderen Schüler) können auf diese Art und Weise auf einen Blick erkennen, wie ihre Mitmenschen gerade drauf sind, ganz ohne raten zu müssen. Dasselbe würde für erwachsene Menschen natürlich auch anders funktionieren. In der Ausbildung hatte unser Erzieher im Wohnheim zum Beispiel eine Art Uhr an der Tür hängen. Darauf waren verschiedene Gefühlsausdrücke geschrieben, zusätzlich ein Zeiger, der auf die passende Stimmung gestellt werden konnte. Eine ziemlich einfache Variante, um erkennen zu können, wie er drauf ist. 
  • Zusätzliche Informationen liefern
Wichtig ist, dass Neurotypen nicht voraussetzen, dass wir ihre Stimmung anhand ihres Gesichtsausdrucks/Verhaltens erkennen können. Sie könnten stattdessen auch ohne aktive Nachfrage des Autisten gleich zu Beginn einer Begegnung sagen: "Ich bin heute sehr müde, weil ich einen sehr anstrengenden Tag hatte. Bitte sprich ein bisschen leiser und erwarte nicht zu viel Kommunikation von mir." Zack - wir wüssten sofort, woran wir sind. Das wäre unfassbar hilfreich. Das ganze hat natürlich auch für den Neurotypen den entscheidenden Vorteil, dass wir uns nicht versehentlich rücksichtslos verhalten, weil wir ihre Emotionen nicht deuten können... 

Ich versuche aktuell Übungsprogramme/Apps zu finden, mit denen autistische Menschen Mimik lesen trainieren können. Wenn ich welche gefunden und getestet habe, wird es zu diesem Thema einen Teil 3 geben, aktuell ist es aber noch nicht soweit. 

Habt einen angenehmen Tag!
Anne


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