Ohne Worte - Kommunikation mit (manchmal) schweigenden Autisten

Guten Tag,

gleich zum Einstieg eine Frage an die Angehörigen/Freunde/Menschen die mit AutistInnen zusammen arbeiten: habt ihr schon erlebt, dass ihr mit dem Autisten in eurem Umfeld immer sprechen könnt und plötzlich steht er vor euch und sagt keinen Ton mehr? Oder an die AutistInnen unter den Lesern, habt ihr die folgende Situation schon erlebt: 

Grundsätzlich könnt ihr sprechen, habt überhaupt keine Probleme in diesem Bereich und urplötzlich kommt Situation X und ihr kriegt nicht ein Wort raus? Entweder ich kann gar nicht sprechen oder ich fange an extrem zu stottern, obwohl ich sonst überhaupt keine Schwierigkeiten im sprachlichen Bereich habe und in der Regel quatsche wie ein Wasserfall. Besonders häufig tritt das auf, wenn ich ganz besonders aufgeregt bin oder extrem starke Gefühle in mir brodeln. Besonders negative Gefühle, wie z. B. Traurigkeit, Eifersucht, Wut, aber auch extrem schöne Gefühle wie extreme Aufregung. Also quasi jedes Mal, wenn irgendwas in Aufruhr in mir drin ist. 

Wie fühlt sich das "sprechen"/"schweigen" in diesen Situationen an?

Zunächst zum stottern. Ihr kennt doch bestimmt Flipper-Automaten. Da ditscht die Kugel links und rechts an die Seiten und man kann ihr mit den Augen teilweise kaum folgen. Genauso ist es in der aufregenden Situation für mich. Die Wörter fliegen in meinem Kopf bunt gemischt durcheinander und man muss versuchen, sich das Wort was man sagen will aus den vielen heraussuchen und es irgendwie fangen. Gleichzeitig darf man aber nicht vergessen, was man am Anfang vom Satz gesagt hat oder was die Frage war, damit man nicht vollkommen den Faden verliert. Wenn man jedes Wort einzeln einfangen muss, dauert das natürlich ein Stückchen länger und ist bei weitem nicht so flüssig, als wenn man sie nur aufsammeln und in die richtige Reihenfolge bringen müsste. (Ist natürlich nur ein Sprachbild, aber ungefähr so fühlt es sich an.) Wenn ich dagegen gar nicht sprechen kann, habe ich den Satz sehr klar in meinem Kopf rumliegen, er ist startbereit und möchte raus, aber es kommt nicht über die Lippen. Kein einziger Ton. Ich kann meistens noch nicht mal den Mund öffnen. Im Prinzip höre ich einen einzelnen Satz mehrere Male in meinem Kopf mit meiner Stimme ausgesprochen, aber nichts, ich betone: NICHTS passiert. Das ist teilweise schon ganz schön frustrierend, mitunter aber auch ziemlich peinlich. 

Was kann in diesen Momenten helfen?

- Das Gegenüber kann so tun, als ob es sich gar nicht 100 %- ig auf einen konzentriert.

Diesen Trick hat ein Erzieher im Berufsbildungswerk manchmal angewendet. Ich war in ihn verschossen und grundsätzlich entsprechend aufgeregt, wenn ich mit ihm kommunizieren wollte. Je nach Tagesform oder Thema dass ich besprechen wollte, kam natürlich nur ein stammeln oder gar nichts heraus. Es hat in den Momenten geholfen, wenn er sich einfach an seinen Schreibtisch gesetzt hat und z. B. auf der Tastatur getippt hat. Frei nach dem Motto: "lass dir alle Zeit der Welt, ich warte gerade gar nicht darauf, dass du was sagst, ich tippe einfach Berichte und du leistest mir Gesellschaft." Das hat immer extrem viel Druck aus der Situation genommen, weil ich in dem Moment dann nicht mehr den Zwang hatte, dass ich jetzt unbedingt sprechen muss, sondern mir Zeit nehmen konnte. 

- In einer anderen Sprache sprechen.

Das habe ich schon ein paar Mal probiert wenn ich beim Eishockey zu Veranstaltungen war, wo die Spieler für Autogramme zur Verfügung gestanden haben oder einfach so zum quatschen da waren. Während ich unsere deutschen Spieler kaum ansprechen konnte und aufs heftigste gestottert habe oder mit Stift und Papier gearbeitet habe, ging es mit unseren Kontingent-Spielern (Spieler aus anderen Ländern, die in der Regel nicht so gut deutsch sprechen konnten) viel flüssiger. Der Trick ist, dass ich mich nicht auf die Aufregung konzentrieren muss, sondern ganz allein auf die Sprache, die ich zwar beherrsche, aber die natürlich nicht meine Muttersprache ist. (In dem Fall englisch) Dadurch, dass ich meine Vokabeln und Grammatikkenntnisse abrufen musste, hat sich mein innerer Aufregungsmodus in Konzentration umgewandelt, zack hat es funktioniert mit dem ansprechen. 

- Speziell für ansprechen: jemand anderes sagen, dass man mit der Person sprechen möchte. 

Nutze ich wirklich gern, wenn ich schon mehrere Anläufe in meinem Kopf unternommen habe um die Person anzusprechen aber nichts rauskam. Ich spreche dann meistens eine Vertrauensperson meiner Wahl an und sage ihr, was Phase ist. Also dass ich sie nicht ansprechen kann. Meistens tippt die Vertrauensperson meinem gewünschten Gesprächspartner auf die Schulter und sagt ihnen Bescheid, dass ich Interesse an der Kommunikation habe. 

- das Gegenüber beruhigt einen irgendwie

Das ist natürlich das allerbeste, denn wenn die Gefühlswellen erst mal unter Kontrolle gebracht sind, klappt das sprechen auch wieder besser. Ein guter Freund von mir hat immer gesagt: "Stopp. Tief durchatmen, bis 3 zählen und neuer Versuch." Meistens hat das schon geholfen um die umherfliegenden Wörter ein bisschen zu bremsen. Sie sind dann immer noch durch die Gegend geflogen, haben sich aber langsamer bewegt und waren besser zu greifen, ergo ist das sprechen besser geworden. Manchmal hat er mir auch die Hand auf die Schulter gelegt. Das hat geholfen, weil es ein externer Reiz war, der nichts mit der Situation zu tun hatte. Das hat auch sein Kumpel gemacht, als ich stammelnd vor ihm stand. Achtung: denkt daran, viele Autisten mögen keine Berührungen. Bei den beiden ist das eine Ausnahme. 

Was sind mögliche Alternativen, wenn das sprechen nicht funktioniert?

Das simpelste ist natürlich das naheliegendste: Stift und Papier/Handy (SMS, Notier-App, etc.). Das Handy hat man ja effektiv immer dabei. Man kann das, was man sagen möchte eintippen oder aufschreiben, der Gesprächspartner liest es und stellt Rückfragen. In der Regel ist es nicht erforderlich, dass es ebenfalls schreibt. Wir sind in der Regel recht klar im Kopf, auch wenn wir nicht sprechen und können auch mündlichen Äußerungen recht gut folgen. 

Was ich teilweise nutze (noch vor einem Jahr häufiger als jetzt): Kommunikationskarten. Dort sind Sätze aufgedruckt, die man in den Situationen wo man nicht sprechen kann, vermutlich aussprechen möchte. "Bringen Sie mich an einen ruhigeren Ort."/"Ich möchte mit dir ins Gespräch gehen!"/"Ich komme klar."/... Die Karten kann man entweder ganz individuell schreiben und dann einlaminieren, Therapeuten/Psychologen, die mit Autisten arbeiten, haben solche Kartenvorlagen aber manchmal auch schon da - einfach mal nachfragen. Wenn sie keine haben, haben sie garantiert Möglichkeiten, wo man so etwas herbekommen kann. 

Google Übersetzer. Ist ein bisschen strange, kann aber helfen. Man verwandelt die App quasi in einen Talker (nutzen nichtsprechende Menschen, ist eine Art Tablet, das die Dinge, die angetippt werden, vorliest.). Man gibt den Text ein und drückt auf Aussprache. Natürlich ist es nicht erforderlich, den Text in die Fremdsprache übersetzen zu lassen, die deutsche Aussprache reicht ja vollkommen aus. Sie ist quasi das Sprachrohr. 

Was ich versuche zu lernen: Gebärdensprache. Bringt aber natürlich nur dann was, wenn das Gegenüber diese Sprachform ebenfalls beherrscht und versteht. Das ist leider aber aktuell noch nicht so weit verbreitet, sodass ich diese Methode nur im Notfall anwenden würde. 

Was ist wichtig:

Nichtautisten sind häufig irritiert, wenn wir plötzlich nicht mehr sprechen, obwohl sie uns eigentlich sprechend kennen. Sie denken dann mitunter, wir tun nur so als ob. Ich habe auch schon die Theorie gehört, dass wir uns wichtig machen wollen in der Situation. Ich kann ganz klar sagen: nein. Einfach nein. Ihr könnt euch ganz sicher sein: wenn wir sprechen könnten, würden wir es auch tun. Was macht alles andere auch für einen Sinn? Wir wollen doch mit euch kommunizieren! Warum sollten wir dann mit Absicht dagegen arbeiten? Macht doch mal gar keinen Sinn! Außerdem ist das total peinlich. Am wichtigsten ist, Stress zu verringern. Je entspannter die ganze Situation ist, desto höher ist die Chance, dass wir relativ flüssig sprechen können. 

Habt einen schönen Tag!
Anne



Quelle Symbolbild: https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/lebenszeichen/schweigen-100.html

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