Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel - Probleme und Anregungen

Hallo,

hast du einen Führerschein? Ich persönlich habe keinen, hätte aber liebend gern einen. Nicht nur, weil ich es abgöttisch liebe im Auto irgendwo hinzufahren (bei Ausflügen wähle ich wenn ich kann immer das Ausflugsziel, das am weitesten entfernt ist, ergo also eine lange Autofahrt bedeutet), sondern auch weil das die Unabhängigkeit vom ÖPNV bedeuten würde. Die Abkürzung ÖPNV steht für Öffentlicher Personen-Nahverkehr, also im Groben Bus, Bahn, S-Bahn, U-Bahn, Zug. Autisten kennen ihre Probleme, die sie bei der Nutzung mit Bus, Bahn und Co, haben. Ich könnte mir aber durchaus vorstellen, dass sich die Betreiber der Beförderungsmittel noch nie so wirklich mit der Frage beschäftigt haben, wie man die Nutzung für Menschen im Autismus-Spektrum wesentlich angenehmer gestalten könnte, bzw. wo die Probleme liegen. Aber auch neurotypische Freunde/Angehörige können teilweise nicht so gut nachvollziehen, warum wir möglicherweise schon nach der 3. Haltestelle aussteigen wollen/müssen, obwohl das Ziel eigentlich noch viel weiter entfernt ist. Heute geht es mir also ein bisschen um Aufklärung.

Ungünstige Bedingungen bei Öffentlichen Verkehrsmitteln: 
  • Überfüllte Verkehrsmittel - insbesondere beim Schienenersatzverkehr
Je nachdem zu welcher Stoßzeit man fährt, kann der Bus/die Bahn brechend voll sein. Da die Verkehrsbetriebe dafür nichts können, werde ich darauf an der Stelle mal nicht vertiefter eingehen. Wo mir aber jegliches Verständnis fehlt, ist die Situation, wenn Schienenersatzverkehr eingesetzt werden muss, weil irgendwo Baustellen sind, oder die Bahn nicht weiterkommt - aus welchen Gründen auch immer. Dass es ohne Schienenersatzverkehr manchmal nicht geht, leuchtet mir absolut ein. ABER: jetzt mal speziell an die Verkehrsplaner in Leipzig: habt ihr jemals früh am Morgen oder Nachmittags zum Berufsverkehr in der Bahn/dem Bus gesessen? Ich glaube nicht! Sonst würdet ihr nicht auf die vollkommen abstruse Idee kommen, eine meist gut gefüllte XXL-Bahn in einen einzigen Gelenkbus stopfen zu wollen! Geht´s noch?! Man steht da drin wie die Ölsardinen und hat effektiv keinen Millimeter Platz, bevor schon die nächste Person kommt! Für Menschen im Autismus-Spektrum, die eigentlich jeglichen Körperkontakt mit Menschen vermeiden oder Patienten mit einer Panikstörung ist das die pure Hölle! Ich bin leider Gottes auf den ÖPNV angewiesen und habe keine Möglichkeit dem SEV zu entrinnen - das bedeutet für mich aber auch, dass ich schon vollkommen erschossen auf Arbeit ankomme, weil die Situation in dem vollgestopften Bus unerträglich war! 
  • Spontane Ausfälle von Bus/Bahn
Menschen mit der Autismus-Spektrums-Störung geht es am allerbesten, wenn alles nach dem geregelten Plan abläuft. Also quasi, wenn nichts überraschendes, unvorhergesehenes passiert. Wenn nun aber völlig aus der Kalten plötzlich die Bahn ausfällt oder der Bus nicht kommt, führt das zu massivem Stress. Es ist dann so, als würde der Computer abstürzen - es geht dann erst mal nichts mehr! Wir wissen nicht was wir tun sollen. Bei mir ist es dadurch schon mehr als einmal zu einem Meltdown gekommen. Ein Zustand, den ihr niemals erleben wollt - vertraut mir. Noch schlimmer wird es, wenn man dann beim Servicetelefon anruft um zu fragen, was los ist und wann der nächste Bus kommt und man bekommt nur zur Antwort, dass eigentlich alles nach Plan läuft und man auch nicht nachvollziehen könne, was gerade los ist. 
  • Extrem viele Reize bei der Bahn-/Busnutzung
In der Bahn stürzt quasi alles auf einen ein - Kindergeschrei, Menschen - die sich übermäßig laut unterhalten, weil sie vergessen, dass noch andere Leute in der Bahn sind, Lautsprecherdurchsagen, Gerüche, etc. Das ist natürlich, wenn man im Auto fährt deutlich eingedämmter. Je nachdem, wie erschöpft man schon in die Bahn einsteigt, kann diese Kombination durchaus zu Reizüberflutungen führen. 
  • Menschen, die sich nicht an die Regeln halten
Das ist jetzt eher ein Punkt, der durch die Corona-Pandemie entstanden ist. Es macht mich absolut wahnsinnig, wenn Leute in der Bahn/dem Bus sitzen und die Maske gar nicht oder falsch aufhaben. Autisten sind totale Regelfanatiker - zu sehen, dass sich jemand gar nicht daran hält, macht schlicht und einfach fertig. Wir alle wissen, wie die Maske auf dem Gesicht zu sitzen hat - trägt sie jemand falsch sind wir die ganze Zeit gezwungen, das falsche Bild mit ansehen zu müssen. Es ist schlicht eine Abweichung von dem, wie es aussehen müsste und das ist unglaublich anstrengend. Ich musste deswegen auch schon eher aussteigen, ich hätte sonst die Krise bekommen. 


Lösungs-/Verbesserungsvorschläge:
  • Sitzplätze für Menschen mit Behinderung/Diagnose
Es würde massiv helfen, wenn es ausgewiesene Sitzplätze geben würde, die frei gemacht werden müssen, wenn jemand den Schwerbehindertenausweis oder ein Schreiben mit einer entsprechenden Diagnose vorzeigt. Auf einem Sitzplatz kann man wesentlich besser Abstand zu fremden Menschen einhalten und erlebt wesentlich weniger Stress. Die Mitmenschen stehen meistens auf, wenn eine Schwangere oder gehbehinderte oder ältere Person in das Verkehrsmittel steigt - weil sie offensichtlich mobilitätseingeschränkt sind. Autismus sieht man den Menschen nicht an - wir können aber genauso starke Probleme damit haben in der Menschenmasse zu stehen, wie es mobilitätseingeschränkten Personen ergeht. Wir würden wesentlich entspannter ans Ziel kommen, wenn wir nicht wie die Ölsardinen zwischen den ganzen Menschen stehen und die ganze Zeit ungewollten Berührungen aus dem Weg gehen müssten. Der Ansatz ist aber nicht neu - z. B. im ICE gibt es bereits solche Plätze, die man aber reservieren muss. 
  • Bei SEV den Takt verdichten oder mehrere Fahrzeuge einsetzen
Es gibt keinen Bus der Welt, der so groß ist, dass alle Menschen, die bei einer gewöhnlichen Berufsverkehr-Fahrt in einer XXL-Bahn sitzen würden, darin fahren könnten, ohne das Platzmangel entsteht. Das ist ganz klar. Man kann aber dafür sorgen, dass sich diese Menschen besser verteilen und das ist gegeben, wenn man entweder mehrere Fahrzeuge zur selben Abfahrtszeit einsetzt oder wenn 5 min später schon der nächste Bus kommt. Dann würden sich einige Personen nämlich auch darauf einlassen, einfach mit dem nächsten zu fahren, wenn der aktuelle schon voll ist. 
  • Ohrenstöpsel/Kopfhörer gegen die akustischen Reize
Das ist eher ein Tipp an die Autisten. Ich fahre eigentlich nie Bahn, ohne Musik zu hören oder mich mit einer Begleitung zu unterhalten (das lenkt ja auch ab von den anderen Reizen). Man ist wesentlich entstresster, wenn man das Kindergeschrei zum Beispiel nur noch halb so laut hört. Wenn ihr nicht so der Musik-Fan seid, probiert doch mal Noise-Cancelling-Kopfhörer aus, die gibt es als Kopfhörer, die man in die Ohren steckt und welche, die man sich einfach über den Kopf stülpt. 
  • Ersatzpläne vorbereiten (für unvorhersehbare Situationen)
Wenn etwas unvorhergesehenes (wie z. B. Bahnausfall) passiert, stürzt wie gesagt unser innerer Rechner ab. Wir brauchen dann entweder sehr lange um uns wieder zu beruhigen, damit wir eine eigene Lösungsstrategie entwickeln können, weil wir wieder klar denken können, oder man sagt uns wie es weiter gehen soll. Es hilft ungemein, wenn jemand anderes festlegt, was jetzt zu tun ist, denn dann haben wir nicht auch noch den Stress, zwischen unendlichen Varianten auszuwählen. Es könnte für solche Situationen hilfreich sein, wenn die autistische Person einen Plan in der Tasche stecken hat. "Was muss ich tun, wenn die Bahn ausfällt." Da ich selber regelmäßig die Krise bekomme, wenn so eine Situation auftritt, kann ich an der Stelle keinen sinnvollen Tipp geben, was in dem Plan stehen könnte. Der einfachste Ansatz wäre, dass man erst mal eine Vertrauensperson anruft, die einem sagt, was in der Situation getan werden muss. Darauf greife ich häufig zurück. 

Ich hoffe, ich konnte einige hilfreiche Anregungen geben. Vielleicht denken die Verantwortlichen ja mal darüber nach! Wäre ja super. Habt einen schönen Tag!
Anne 

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