Meine Meinung zu Autismus-Selbsttests im Internet

Guten Tag,

fast jeder hat garantiert schon mal einen dieser klassischen Selbsttests gemacht, die im Internet kursieren. Im Prinzip kann man sie in 3 Kategorien einsortieren:

A) Spaß ("Bin ich eine Banane?" - Finde es jetzt heraus!)
B) Sinnvolle Hilfestellung ("Welcher Beruf ist für mich geeignet?")
C) Tests, die in Richtung medizinisches Screening gehen ("Habe ich Schizophrenie?")

Über Sinn und Zweck von Tests der Kategorie A braucht man sich nicht unterhalten - sie dienen einzig und alleine der Unterhaltung der Menschen, die diesen Test gerade machen. 99 % aller Menschen dürfte klar sein, dass sie bei einem solchen Test keinen wirklichen Mehrwert erleben. Sie sind einfach witzig und haben irgendwie auch ihre Daseins-Berechtigung, vor allem aber sind sie absolut ungefährlich. Von Kategorie B bin ich ein großer Fan! Denn sie können einem helfen, eine Entscheidung zu treffen, wenn man sich mit der Materie noch nicht so gut auskennt - bzw. die Schattenseiten nicht im Blick hat, z. B. wenn man sich fragt, ob man in eine WG oder doch lieber in eine eigene Wohnung ziehen könnte. Im Prinzip könnte man sie auch durch Gespräche mit Freunden/Familien/Mitarbeitern von verschiedenen Institutionen ersetzen, grundsätzlich finde ich sie aber absolut sinnvoll. 

Mir geht es heute aber um Tests der Kategorie C. Das Internet ist voll von sogenannten Selbsttests, die einem Auskunft darüber geben sollen, ob man möglicherweise unter einer bestimmten Krankheit/Störung/medizinischer Besonderheit leiden könnte. Diese Tests finde ich außerordentlich kritisch. 

Warum finde ich die Tests kritisch?
  • Jeder kann solche Tests ins Netz stellen!
Auf vielen Seiten wird nicht geprüft, wer diesen Selbsttest ins Netz gestellt hat! Er könnte von PsychologInnen entwickelt worden sein, die sich mit Autismus schon ihr halbes Berufsleben beschäftigen und wissen, wovon sie sprechen. Genauso gut, kann sich aber auch dein Nachbar, der als Monteur arbeitet und noch nie groß Erfahrung mit Autismus gesammelt hat, hingesetzt haben und ein paar Fragen zusammengeschustert haben, mit der Idee: so sind Autisten in Filmen immer, und mir ist gerade langweilig. Man kann sich als Außenstehender also niemals wirklich ein Bild davon machen, ob er sich wirklich an den Symptomen orientiert, oder ob er nur anhand von Klischees entwickelt wurde. 
  • Ein paar Übereinstimmungen bedeuten noch lange kein Autismus!
Zu dem Thema habe ich schon mal einen eigenen Beitrag verfasst (Sind wir nicht alle ein bisschen autistisch?!). In solchen Selbsttests wird jeder den einen oder anderen Punkt finden, wo er "mit geht", mit dem er sich identifizieren kann. In speziellen Abstufungen treten die Symptome von Autismus auch bei Neurotypen auf. Zum Beispiel, dass man nicht so richtig weiß, worüber man sich auf einer Party unterhalten könnte - manche Menschen sind einfach introvertiert. Oder die Frage "Gehst du lieber in eine Bibliothek als auf eine Party?" Menschen, die den Test machen wissen, dass alle Fragen auf Autismus abstellen und denken, dass das ein typischer Zug von autistischen Menschen ist. In Wirklichkeit findet man dadurch aber nur raus, dass man nicht so gern unter Menschen ist, was auch noch hunderttausend Nichtautisten so gehen kann. Ich sehe vor allem die Gefahr, dass die Menschen den Test gar nicht bis zum Ende machen, sondern nach ein paar Übereinstimmungen denken "Oh, da trifft aber vieles auf mich zu, ich bin bestimmt auch ein Autist!" Nein. Es kommt immer auf die Schwere der Symptomatik sowie auf die Masse der auftretenden Symptome an und die kann man mit solchen "Ich stimme stark zu, ich stimme ein bisschen zu, ich stimme gar nicht zu) gar nicht abklopfen.
  • Autismus ähnelt einigen Persönlichkeitsstörungen, das Ergebnis könnte vollkommen falsch sein!
Manche Menschen, die eine Persönlichkeitsstörung haben, ähneln Menschen im Autismus-Spektrum vom Verhalten her bzw. haben ähnliche Empfindungen. Darum werden sie höchstwahrscheinlich recht viele Übereinstimmungen erhalten und sind dann froh und glücklich, dass sie endlich wissen, warum sie so sind wie sie sind. Tatsächlich gibt es aber einen himmelweiten Unterschied zwischen einer Persönlichkeitsstörung, die nur wie Autismus wirkt und der Autismus-Spektrums-Störung. Patienten mit PS kann man nämlich trainieren - sie können z. B. lernen sich in andere Menschen hineinzuversetzen, Mimik zu deuten, mit Menschen besser umgehen zu können, etc. Es ist quasi heilbar, abtrainierbar - mit Autisten kann man dagegen noch so oft üben - sie werden es niemals lernen, intuitiv zu deuten, wie ein Mensch schaut, wie er sich fühlt, etc. Darum kann eine Autismus-Diagnose auch nur von ausgebildeten PsychologInnen und TherapeutInnen, also Fachpersonal (und davon noch nicht mal jeder, da es spezielle Fortbildungen/Schulungen braucht um solche Diagnosen stellen zu dürfen) gestellt werden können! Die haben auch noch andere Störungsbilder im Hinterkopf und erkennen, wenn z. B. kein Autismus vorliegt. Wenn sich die Patienten mit PS nur an einem solchen Selbsttest orientieren würden, entgeht ihnen damit die Möglichkeit, sich helfen zu lassen und die Symptome loszuwerden!
  • Zu einer Diagnostik gehört viel mehr als nur so ein Fragebogen!
Wenn ich schon die Beschreibung lese "Finde in 5 min heraus, ob du Autismus haben könntest", könnte ich einen Schreikrampf kriegen. Ein richtiges Diagnoseverfahren dauert mehrere Tage! Da werden Gespräche mit Angehörigen/Freunden des Patienten geführt, es wird ein IQ-Test gemacht, es werden ehemalige Arztberichte in Augenschein genommen, es werden verschiedene Tests gemacht, die aus dem Patienten autistische Verhaltensweisen herauskitzeln sollen... Es kommen auch Fragebögen vor, die so ähnlich wie diese Selbsttests gestaltet sind, aber die machen nur einen Bruchteil der Diagnostik aus. Ich sehe das Risiko, dass Menschen die sich noch nie mit der Materie auseinandergesetzt haben und nicht wissen, dass eine Diagnose viel umfänglicher ist, den Test machen und dann denken: "Ja, ich habe eindeutig Autismus" und dann durch die Welt gehen und das von sich behaupten. In Wirklichkeit sind die Fragen aber so allgemein gehalten, dass es ohne die Auswertung einer psychologischen Fachkraft gar keine Aussagekraft hat. 
  • Die Diagnostikleiter können psychologische Unterstützung geben. 
Nicht für jeden Menschen ist eine Diagnose ein absoluter Glücksfall. Es handelt sich dabei schließlich immer noch um eine Krankheit/Störung. Das kann manche Menschen schon mal ziemlich erschüttern. Die psychologische Fachkraft, die diese Diagnose stellt (oder auch nicht stellt) kann viel behutsamer auf den Patienten eingehen, wenn sie ihm das Ergebnis der Diagnostik erklären. Sie kann z.B. hilfreiche Therapien vorschlagen und Kontakte vermitteln. Es kann aber auch genauso gut sein, dass herauskommt, dass der Patient kein Autismus hat und er dann vollkommen verzweifelt ist, weil er quasi immer noch nicht weiß, was er für eine Krankheit hat bzw. warum er die Probleme in seinem Alltag hat. Hier ist es immens wichtig, dass die Fachkraft ihn psychologisch betreuen und die starken Gefühle abfedern kann. Mit so einem Online-Selbsttest ist man allein gelassen, das kann je nach psychischer Verfassung des Ausfüllenden richtiggehend gefährlich sein! Darum lassen Fragebögen, die Psychologen bei der Diagnostik ausgeben auch niemals auf irgendeine Diagnose schließen.

Was ich an solchen Online-Selbsttests gut finde

Natürlich haben auch die Online-Selbsttests ihre Vorteile, auch wenn es mir wirklich schwer fällt, welche zu entdecken.

  • Sie können einen ersten Eindruck geben, ob es sinnvoll sein kann, eine Diagnostik anzustreben.
Klare Voraussetzung ist hier: der Test muss wirklich von einer seriösen Institution und von psychologischen Fachkräften entwickelt worden sein und es muss ganz klar angegeben werden, dass das keine Diagnostik ersetzt, sondern nur ein grobes Screening gibt. Ich rate von Selbsttests von Seiten ala "Teste dich!" absolut ab! Warum kann der Test bei der Überlegung helfen? Ganz einfach: die Tests kriegen natürlich auch mit, wenn ganz viele Punkte eher für einen Neurotypen sprechen, irgendjemand schreibt sie ja schließlich und hat sich damit beschäftigt und hat einprogrammiert, wie viele Punkte zutreffen müssen, damit überhaupt Autismus sein kann. Wenn also ein Nichtautist einen solchen Test macht und er stimmt überwiegend den Aussagen nicht zu, kann der Test klar sagen: nee, du bist wahrscheinlich nicht autistisch. 

Es ist zum Teil unglaublich schwierig, einen Termin bei einer Psychologin zu bekommen, die Diagnostiken durchführen darf. Das liegt zum einen daran, dass die Diagnostik eine Menge Zeit in Anspruch nimmt und zum zweiten, dass die Diagnostiken bei weitem nicht alle Psychologen durchführen dürfen. Wenn man also ganz klar schon erfährt, dass die Wahrscheinlichkeit, das man Autismus hat extrem gering ist, braucht man gar nicht erst auf einen Termin warten, nur um dann schon beim Erstgespräch gesagt zu bekommen, dass das warten eigentlich sinnlos war. (gut, das ist jetzt ziemlich hart ausgedrückt, denn auch wenn die Diagnose nicht gestellt wird, hat man ja seinen Grund, warum man eine solche Diagnostik anstrebt).
  • Es können erste Anlaufstellen vermittelt werden.
Wenn herauskommt, dass möglicherweise Autismus vorliegen könnte, steht bei manchen Selbsttests in der Auswertung, an welche Institutionen sich derjenige wenden kann und erklärt, wie so eine Diagnose ablaufen kann. Das finde ich sehr sinnvoll, denn wenn man noch nie psychologische Hilfe in Anspruch nehmen musste, kann der Dschungel aus Institutionen und Beratungsstellen schon ziemlich verwirrend sein. 

Fazit:

Man sollte medizinische Online-Selbsttests mit absoluter Vorsicht genießen und wenn man den ernsthaften Verdacht hat, dass man eine Autismus-Spektrums-Störung hat lieber eine richtige Diagnostik in Anspruch nehmen. Denn die Menschen, die die Diagnose stellen, sind speziell geschult und können viel besser einschätzen, was los ist, als ein Computerprogramm. Um einen ersten Eindruck zu gewinnen und Anlaufstellen vorgeschlagen zu bekommen, sind sie aber definitiv nicht schlecht. 











Quelle Symbolbild: https://www.domradio.de/themen/weltkirche/2021-02-16/jetzt-zaehlen-die-glaeubigen-slowakische-volkszaehlung-bestimmt-auch-ueber-kirchenfinanzierung

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