Autismus und Körperkontakt

Hallo,

kennt ihr die klassischen Spielfilme in denen Autismus dargestellt werden soll? In 99 % aller Fälle wird dort auch dargestellt, dass Menschen mit Autismus Probleme mit Körperkontakt haben. Ganz einfach aus dem Grund, weil es logischerweise witzig aussieht, wenn AutistInnen komplett ausrasten, wenn sie berührt werden und dann zum Beispiel ihrem Gegenüber einen Kick geben, der sie 10 m weit weg fliegen lässt.

Zuallererst: Das ist absolut übertrieben. Find ich auch mitnichten in irgendeiner Form witzig. Dass viele AutistInnen nicht gerade ein großer Freund von Berührungen und Körperkontakt sind, ist absolut korrekt. Es wird auch ein paar Autisten geben, die wirklich ausrasten, wenn sie berührt werden, die meisten Autisten haben sich aber soweit schon im Griff, dass sie nicht direkt auskeilen, sondern gesittet mitteilen können, dass sie nicht berührt werden möchten und es durchaus auch mal aushalten können. Da es sich bei Autismus um eine Spektrumsstörung handelt, ist es von Autist zu Autist unterschiedlich, wie viel Körperkontakt er ertragen kann oder vielleicht sogar mag. Heute möchte ich Neurotypen Tipps geben, wie sie AutistInnen das Leben in Bezug auf Körperkontakt wesentlich leichter machen können und meine Erfahrungen mit dem Thema teilen. 

 Was können Neurotypen tun, damit es für AutistInnen leichter wird?
  • Verzichtet auf Händeschütteln. 
Für viele Menschen im Autismus-Spektrum ist die Corona-Pandemie in Hinblick auf die Begrüßung mittels Hand schütteln eine unglaubliche Erleichterung. Ich kenne etliche Autisten, inklusive mir, die diese Form der Begrüßung abgrundtief hassen. Ich weiß, dass das bei Neurotypen so üblich ist, aber es ist ein unfassbar unangenehmes Gefühl. Weil ich so erzogen worden bin, gebe ich Menschen selbstverständlich zur Begrüßung "die Flosse", das tun auch einige andere Autisten, aus demselben Grund. Wir sind gut erzogen und versuchen uns an die neurotypische Welt anzupassen - es ist aber für die meisten von uns unfassbar unangenehm! Richtig festen Händedruck kann ich noch einigermaßen akzeptieren. Es gab in meinem früheren Umfeld aber auch eine Person, die hatte einen irre schlaffen Händedruck und zusätzlich raue Haut. 

Bei einem festen Händedruck ist der Druck der unsere Hand umspannt größer als das Gefühl der anderen Haut auf unserer Haut. (Ich bin nicht sicher, ob ich das gerade richtig beschreiben kann.) Bei einem schlaffen Händedruck dagegen fühlt es sich an wie tausend Ameisen, die über die Haut laufen, brrr... Je nachdem wie reizoffen ich an dem Tag war, hat diese Berührung schon eine kleine Reizüberflutung ausgelöst. Liebe Neurotypen - es gibt doch noch tausend andere Begrüßungsformen, bei denen man sich nicht die Flosse geben muss. Wie wäre es zum Beispiel mit einem High Five? Das mache ich mit meinem Lieblingsonkel schon seit ich denken kann. Wir haben nie darüber gesprochen, dass ich Handschütteln nicht mag, wir machen das einfach schon mein komplettes Leben lang. Das ist bei Familienfeiern immer die Begrüßung auf die ich mich am allermeisten freue! :-) Ich liebe vor allem das Geräusch, wenn die Hände aufeinanderprallen. Paff. 😍 Oder einfach hallo sagen und winken? Man muss sich doch gar nicht zwangsläufig berühren!
  • Fragt uns, bevor ihr uns berührt. 
Wenn wir uns auf die Berührung einstellen können, ist sie wesentlich leichter zu ertragen. Außerdem kommt es ganz auf unsere Tagesform an, wie viel Körperkontakt wir ertragen können. An manchen Tagen kann ich mich von ausgewählten Personen (ausschließlich Bezugspersonen und davon auch nicht alle) umarmen lassen, während ich an manchen Tagen nicht mal das Hände schütteln ertrage. Zwei liebe Bekannte haben es sich zur Routine gemacht, mich bei der Begrüßung zu fragen, ob eine Umarmung heute okay ist, oder ich lieber nur High Five machen möchte. Oder ob es an dem Tag mal gar keine Berührung sein soll. Das ist immer davon abhängig, ob der Tag schon sehr reizintensiv war, bzw. wie ich mich in meinem Inneren fühle. Wenn ich besonders aufgewühlt bin, kann es sein, dass ich die Berührung nicht akzeptieren kann. Ich finde es wahnsinnig hilfreich, dass die beiden vorher fragen. So habe ich immer die Möglichkeit nein zu sagen, wenn es gerade nicht erträglich wäre, bzw. werde nicht dadurch überrascht. 
  • Kräftigere Berührungen sind erträglicher als leichtes streicheln.
Viele Autisten können zum Beispiel kräftige Massagen besser ertragen, als wenn man ihnen über den Arm streicht, wie es manche Neurotypen zum Trost machen. Ich kann es schlecht beschreiben, aber so leichtes berühren, fühlt sich für die meisten an, als würden Ameisen über die Haut krabbeln. Es macht uns unglaublich wuschig. Bei einer festen Berührung dagegen kommen nicht so viele Informationen im Gehirn an, zumal diese auch meistens kürzer ist.

 Was mir noch wichtig ist:

Bei Fack Ju Göhte 2 wird der Eindruck vermittelt, dass es helfen kann, autistische Personen dazu zu zwingen, Berührungen zuzulassen. Es wird als eine Art Laien-Therapie-Methode dargestellt. Ich kann nur wirklich absolut dringend davon abraten, ein ähnliches Experiment durchzuführen. Es wird niemals dazu führen, dass wir Berührungen als angenehmer empfinden, das höchste der Gefühle ist, dass wir sie irgendwann einfach stumpf zulassen und sehnlichst darauf warten, dass sie vorbei sind. Das ist es doch garantiert nicht, was ihr wollt oder? Akzeptiert einfach, wenn wir nicht berührt werden wollen und schätzt es, wenn ihr zu den wenigen Personen gehört, von denen wir Körperkontakt akzeptieren und möglicherweise sogar genießen. Denn ich betone noch einmal: es gibt autistische Personen, die bekommen von zu viel Körperkontakt heftige Reizüberflutungen!! Je nach Intensität dieser Reizüberflutung kann es dann sogar zu Shutdowns oder Meltdowns führen (was zugegebenermaßen bei mir zum Glück noch nie aufgetreten ist, zumindest nicht durch Berührungen, eine Reizüberflutung hatte ich dadurch aber durchaus schon.). Autismus ist nicht heilbar - ergo ist ein solches Experiment, wie es in FJG 2 dargestellt wurde, keine akzeptable Therapie-/Behandlungsmethode.

Habt einen schönen Tag und "High Five!"
Anne

Kommentare


  1. Hi ich kann die hand geben aber ich mag ansonsten überhaupt nicht umarmt etc zu werden, da werde ich immer stocksteif.

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    1. Hallo! Das kann ich gut verstehen, wie gesagt - ich mag es auch ganz und gar nicht. Das dürfen nur sehr wenige. Mir ist schon Hand geben too much. Kannst du deine Bedürfnisse dahingehend gut kommunizieren?

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  2. Hi Anne, da bin ich auch mal wieder. Habe lange nicht reingeschaut. Dein Artikel zum Haendeschuetteln - mein erster Gedanke war gerade mit der Corona-P. auch, ist ein natuerlicher Schutz fuer jederman. Aber auch sonst so in der Grippezeit, wo man die Viren so weiter gibt. Kann auch nicht leiden, wenn jemand so einen soften Haendedruck gibt, da bekomme ich eine Gaensehaut. Obwohl ich mit dieser Kultur "Haendedruck" aufgewachsen bin gebe ich auch nicht gern meine Hand zu anderen Menschen, besonders, wenn sie dann noch schwitzige und weiche Haende haben. Nur daran jetzt gedacht zu haben, da kommt ein ekelig Gefuehl in mir hoch.

    Auch denke ich, dass es total falsch ist, jemanden zu zwingen Koerperkontakt zu haben. Es ist eine Vergewaltigung und ich glaube strafbar. Man kann auch niemanden umaender, der das selbe Geschlecht atraktieve finded und z. B. eine Frau von einem Mann vergewaltigen lassen, damit sie nur Maenner liebt. Das funktioniert nicht.
    So, wer auf die Idee kommt, etwas mit Gewalt zu machen zu jemanden anderen, der ist geistig Krank und gehoert in eine geschlossene Anstalt.

    Danke Anne, fuer all die Informationen, es gibt mir gute informationen besser auf Dinge zu achten, die man vermeiden kann.

    Ilona

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