Auswirkungen der Coronapandemie auf AutistInnen

Hallo,

die Corona-Pandemie ist ja nun schon fast anderthalb Jahre im Gange. Jeder von uns wird schon die eine oder andere Auswirkung dadurch erlebt haben, das bleibt selbstverständlich nicht aus. Heute möchte ich darüber schreiben, wie sich die Pandemie auf meinen Alltag als autistische Persönlichkeit auswirkt. Es ist davon auszugehen, dass es für viele andere Autisten ähnlich ist, aber grundsätzlich kann ich natürlich nur von mir sprechen. 

Positive Auswirkungen der Pandemie auf mich
  • weniger Körperkontakt
Was ich persönlich ja richtig klasse finde ist, dass aktuell alle dazu angehalten sind, unnötigen Körperkontakt zu vermeiden (aufgrund der Übertragung des Virus). Zur Begrüßung wird nun nicht mehr die Hand gegeben, sondern nur noch ein allgemeines "Guten Morgen!" in den Raum gerufen. Ich find das soooo sooo angenehm. Wenn es nach mir ginge, würde das Hände schütteln auf ewig weg bleiben, quasi abgeschafft durch die Pandemie. Ich brauch das ganz und gar nicht. Richtig fester Händedruck, das ist was womit ich ganz gut leben kann. Es gibt aber ja durchaus auch Menschen, die haben einen super-schlaffen Händedruck haben. Das Gefühl auf der Haut, wenn man der Person die Hand schütteln muss - Katastrophe! Wie tausend Ameisen, brrrr.... Und ich weiß, dass das vielen Autisten ebenfalls so geht, Hände schütteln ist eigentlich den meisten ein Graus. Das weiß ich, weil ich einige Autisten kenne, die dasselbe geschildert haben. Dadurch, dass das Flosse geben wegfällt, fällt auch direkt ein unangenehmer Reiz weg, der einen, je nach Tagesform gleich schlecht in den Tag starten lassen würde. P. S. Ich habe es schon früher genossen, wenn ich erkältet war und sagen konnte: "Ich bin bisschen erkältet und gebe dir lieber heute mal nicht die Hand." Meine Erkältungen waren verbal ausgedrückt durchaus auch mal länger, als tatsächlich, wenn ihr wisst was ich meine.

  • keine großen (Familien-)feiern mehr
Das ist auch ein Punkt, den ich sehr angenehm finde. Ich mag meine Familie richtig gern, keine Frage und ich verbringe auch gern Zeit mit ihnen. Ich kann auch absolut nachvollziehen, warum immer recht große Familienfeiern gefeiert werden - immerhin kommt man dann mal wieder zusammen und hat gleich mehrere Gesprächspartner, bzw. sieht man auch mal Menschen wieder, die man längere Zeit nicht gesehen hat, weil es mit der Alltagsplanung einfach nicht so richtig passt. Klar ist das angenehm. Aber: ich sehe die Personen lieber einzeln (in Kleingruppen von 2 - 3 Menschen) als auf einem Haufen. Man kann sich doch dann viel besser mit der Person unterhalten und wird nicht von dem Drumherum abgelenkt. Geburtstagsfeiern finde ich aktuell viel entspannter, weil ich mich nur auf die wenigen Menschen konzentrieren muss und außerdem meine Bezugspersonen immer in unmittelbarer Nähe habe. Bei größeren Familienfeiern ist es ja doch so, dass die Person, nach der man sich ein bisschen richtet und in deren Nähe man sich aufhält, dann doch mal dort und mal dort ist und nicht unbedingt in der Nähe von einem ist. Wenn man sich aber nur im sehr kleinen Kreis trifft, kann die Person nicht weit sein - sie sitzt vielleicht nicht direkt neben einem, aber zumindest nicht auf der komplett gegenüberliegenden Seite des Raumes. Zumal man sich ja, wenn man sich im kleinen Kreis trifft, ohnehin nur mit den Personen trifft, zu denen man eine engere Bindung hat. 
  • Der ganze Alltag besteht aus weniger reizintensiven Aktivitäten.
Je nach Tagesform kann ich mit ein paar Vorbereitungen auch reizintensivere Veranstaltungen besuchen, z. B. Eishockey oder Behindertendisco, und habe viel Spaß dabei. Man trifft die Menschen, die einem wichtig sind, kann sich mit dem beschäftigen, was einen interessiert, hört vielleicht gute Musik, etc. Gleichzeitig saugt es einem natürlich aber auch den Akku leer, weil extrem viele Reize in kürzester Zeit auf einen einschießen und man sie trotz Hilfsmittel wie Ohrenstöpsel natürlich nicht hundertprozentig rausfiltern kann. Man steht also vor der Entscheidung: möchte ich meinem Hobby nachgehen, dann muss ich aber auch mit den Umgebungsreizen klar kommen, oder möchte ich Ruhe, dann kann ich mich aber nicht mit meinem Interesse beschäftigen und Freunde treffen. Je nachdem wie oft ich mich in einer Woche dann für die Aktivitäten entschieden habe, die reizintensiv sind, hatte ich dann immer mal Reizüberflutungen und war mit mir und der Welt überfordert. Das ist jetzt natürlich etwas ganz anderes, weil aktuell so wenig erlaubt ist, dass der Alltag wirklich extrem ruhig ist. Dadurch habe ich wesentlich weniger Reizüberflutungen. Außerdem hatte ich die Möglichkeit, Eishockeyspiele vom heimischen PC anzusehen, ohne mich in eine volle und laute Eishalle zu stellen. Zugegebenermaßen konnte ich mich nicht so gut darauf einlassen, weil es einfach was ganz anderes ist, als vor Ort zu sein. Ich könnte mir aber durchaus vorstellen, dass das etwas für Tage wäre, wo ich das Spiel unbedingt sehen möchte, es mir aber vor Ort viel zu anstrengend wäre - z. B. bei einem Derby. Die Option gab es früher nicht, weil die Übertragung einfach nicht notwendig gewesen ist. Das ist ein klarer Vorteil der Pandemie.
  • Es sind weniger Menschen unterwegs.
Das ist besonders angenehm, wenn man in der Innenstadt unterwegs ist zum einkaufen. Es darf ja aktuell nur eine begrenzte Anzahl an Menschen in einen Laden - ergo ist es weniger voll. Weniger Menschen - weniger Reize. Weniger Reize - entspanntes Einkaufserlebnis. Außerdem geht es natürlich wesentlich schneller, bis man wieder aus dem Laden raus ist, weil die Schlagen an der Kasse nicht so lang sind und man sich nirgendwo durchquetschen muss, weil jemand im Weg steht. Find ich super angenehm. 


Negative Auswirkungen der Corona-Pandemie auf mich:
  • Ich kann meinem Spezialinteresse nicht richtig nachgehen. 
Eines meiner Spezialinteressen ist das Mittelalter. Ich bin vor der Pandemie regelmäßig mit meinem Papa ins Auto gestiegen und wir sind zu unterschiedlichsten Burgen gefahren, die wir dann besichtigt haben. Das geht aktuell logischerweise nicht - Museen, etc. haben ja schon eine ganze Weile geschlossen, weil sie keine Besucher empfangen dürfen. Klar kann ich mich auch online über die Burgen belesen, aber das ist natürlich überhaupt nicht dasselbe. Einerseits weil man sich nicht alles so intensiv anschauen kann, wie man es will - z. B. die Kerker mit Folterwerkzeugen kommen ja weiß Gott nicht so richtig rüber, wenn man sich nur Bilder anschaut, und zweitens liebe ich die langen Autofahrten zu den Burgen. Wenn ich schaue, zu welcher Burg man mal fahren könnte, gucke ich immer, welche am weitesten entfernt ist, damit wir so lange wie möglich im Auto sitzen können. (Was offengestanden meistens eher nicht so im Interesse von meinem Papa ist. Klar - der entspannt sich nicht beim Autofahren, er muss ja das Auto steuern und den Treibstoff zahlen. :D) Es macht aber natürlich keinen Sinn, vollkommen ziellos mit dem Auto durch die Gegend zu fahren. Da waren die Burgbesichtigungen ein guter Anlass immer. Und zum Eishockey kann ich logischerweise auch nicht. 
  • Die Maske ist ein zusätzlicher Reiz und sorgt für Erkennungsschwierigkeiten. 
Ich komme mit den Masken eigentlich ganz gut zurecht. Es kommt natürlich auch hier auf die Tagesform an. Wenn ich ohnehin schon einen reizintensiven Tag hinter mir habe, ist die Maske natürlich höllisch anstrengend, das geht neurotypischen Menschen ja genauso. Ich steige dann immer auf die OP-Masken um, die ja nicht so dicht am Gesicht anliegen. Grundsätzlich versuche ich aber immer FFP2-Masken zu tragen, weil ich damit natürlich mich und mein Umfeld deutlich besser schützen kann. Manchmal ist es aber eben doch richtig heftig. Es gibt Tage, da laufe ich extra Umwege, um der Maskenpflicht zu entgehen. 

Was ich viel problematischer finde: ich erkenne viele Menschen wegen der Maske nicht. Ich weiß nicht so richtig, wie ich das Phänomen beschreiben könnte. Aber beim wiedererkennen von Personen orientiere ich mich an irgendwelchen markanten Punkten, von denen ich leider selber nicht weiß, welche das sind. Wenn ich Menschen schon ein Dutzend Mal gesehen habe, erkenne ich die Leute auch ohne Maske - dann konzentriere ich mich aber auch z. B. an der Frisur und an der Stimme. Wenn ich Menschen aber nur so grundsätzlich kenne und ab und zu mal treffe, dann sitzt die Person mit Maske vor mir und ich habe keinen Plan, wer das ist. Ich versuche auch hier nach der Stimme zu gehen, aber wenn die Person gerade nicht spricht, wird es halt echt schwierig. Ich arbeite in einer Schule und war schon häufiger im Haus unterwegs und dachte mir nur so: Mh... Ist sie es jetzt oder ist sie es nicht? Ich habe quasi schon eine Vermutung, wer hinter der Maske steckt, weil ich mich ja auch an der Frisur orientiere, etc. Wenn aber mehrere Menschen dieselbe Frisur haben und ich kenne sie nicht so gut... Ihr wisst was ich meine. Das führt dann immer zu peinlichen Situationen. Was mir grundsätzlich helfen würde wäre, wenn die Personen für einen kleinen Moment die Maske kurz abnehmen, damit ich sie identifizieren kann oder sie mir sagen, wer sie sind. Das Problem ist, dass ich mich nicht so wirklich traue, zuzugeben, dass ich die Menschen nicht erkenne, weil das ja doch irgendwie peinlich ist... Ich gehe also lieber weiter, bevor ich die Person anspreche und dann feststelle, es ist doch nicht die, für die ich sie gehalten habe. 
  • Gewohnte Aktivitäten fallen weg, weil sie durch die Pandemie verboten sind. 
So bin ich es zum Beispiel eigentlich gewohnt gewesen, dass immer Freitags oder Sonntags Eishockey-Time ist. Da gab es nichts dran zu rütteln, außer ich war irgendwie zu erschöpft. Es ist schon in der Sommerpause immer problematisch, dass ich mir dann für die Freitag-/Sonntagabende ein Alternativprogramm überlegen musste. Es ist grundsätzlich einfach immer günstiger, wenn wir unsere Rituale abarbeiten können. Tja, aber wenn Corona dazwischen funkt und die Eishalle zu hat, ist das eben nicht drin. Genauso wie eigentlich jeder 1. Donnerstag im Monat Behindertendisco war. Ich war nicht immer dort, weil es manchmal nicht ging, aber grundsätzlich war das schon eine sichere Bank, wie man so schön sagt. An dem Tag habe ich die Möglichkeit, ob ich sie nutze oder nicht, ist die andere Seite, aber grundsätzlich geht es. Jetzt natürlich schon seit ner gefühlten Ewigkeit leider nicht. Schwerer betroffene Autisten kann das komplett rausreißen, wenn ihr Ritual plötzlich nicht mehr durchgeführt werden kann. 

Fazit:

An der Pandemie ist nicht alles schlecht. In wenigen Punkten sorgt sie bei AutistInnen für Entlastung sogar. Grundsätzlich ist natürlich aber für alle Beteiligten am allerbesten, wenn die Pandemie so schnell wie möglich vorbei ist und uns nicht mehr beeinflusst. Bis dahin gilt: haltet euch an die angesagten Maßnahmen und vor allem: gut durch und steckt euch nicht mit dem blöden Virus an!

Habt einen schönen Tag!
Anne

Kommentare


  1. Ich habe mich total abgeschottet nur noch auf der coach. Komme nicht mehr raus damit

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    1. Hallo, ich kann das sehr gut verstehen. Es sind ja ganz viele strukturgebende Aktivitäten nicht mehr möglich gewesen. Vielleicht können Sie ja gemeinsam mit jemand anderes spazieren gehen, etc. Also klein anfangen. Alles Gute für Sie. :)

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