Tipps für fairere Auswahlverfahren für Autisten bei der Jobsuche

Guten Tag,

in vielen Firmen könnten Menschen mit der Autismus-Spektrums-Störung durch ihre guten Fähigkeiten eine hervorragende Arbeit leisten und viel für das Unternehmen einbringen. Ich könnte mir auch durchaus vorstellen, dass viele Arbeitgeber sogar gar nicht unbedingt abgeneigt wären, Menschen mit Autismus einzustellen. Das Problem ist, dass wir unsere Stärken gar nicht wirklich unter Beweis stellen können, weil wir an Vorstellungsgesprächen scheitern und somit aus dem weitern Auswahlverfahren ausscheiden. In einem Beitrag, den ich vor ein paar Wochen geschrieben habe, habe ich auf die Probleme hingewiesen, die bei Vorstellungsgesprächen für Autisten bestehen. Ich habe aber auch einige Ideen, wie man Auswahlverfahren für Menschen im Autismus-Spektrum fairer gestalten könnte, sodass mehr Firmen in den Genuss unserer Arbeitskraft kommen können. 

Das Hauptproblem an einem Vorstellungsgespräch ist, dass man sich "verkaufen" muss, man muss Werbung für sich selber betreiben. Um Werbung für sich machen zu können, muss man sich aber in den Personalsachbearbeiter hineinversetzen können, um zu verstehen was man sagen muss, damit er überzeugt ist. Eine Aufgabe, die für Menschen mit Autismus unheimlich schwer ist, schon in normalen Lebenssituationen. Wenn wir aber auch noch aufgeregt sind und zusätzlich uns auch noch neurotypisch verhalten müssen (Blickkontakt halten, uns mit Sachen verkleiden, die wir sonst nie tragen würden etc.) ist das Risiko dass wir uns nicht gut verkaufen, leider verdammt hoch. Was könnte man also besser machen?
  • weniger auf die soziale Komponente setzen, mehr auf die Fähigkeiten
Wie soll das denn gehen? Ganz einfach - mit Fähigkeitstests. Dort werden den Bewerbern branchentypische Arbeitsaufgaben gestellt, die sie erfüllen müssen. Zum Beispiel würde man im Bürobereich in einer bestimmten Zeit Briefe sortieren nach "darf ich öffnen, oder muss dem Chef verschlossen übergeben werden", einen Text nach Diktat am Computer schreiben - mit oder ohne Korrekturmöglichkeit, das ist unterschiedlich. In der IT könnte man Fehler in einem Programmiercode suchen lassen oder etwas kleines programmieren lassen. Dort könnte die autistische Person unter Beweis stellen, ob sie für die Aufgabe geeignet wäre, ohne sich groß verstellen zu müssen. Das sollte dann aber auch mehr gewichtet werden, als ein Vorstellungsgespräch. Ich verstehe sowieso nicht, warum die als so wichtig angesehen werden. Klar muss man schauen, dass die Persönlichkeit in die Firma passt, aber wenn man sich nur gut verkaufen kann, heißt das doch noch lange nicht, dass man in seiner Aufgabe wirklich gut ist?! Man kann den Personalern doch alles erzählen? Wenn man dagegen schon abgeklopft hat, was der Bewerber alles kann, muss man beim Vorstellungsgespräch nicht mehr darauf achten, was er so über sich sagt, sondern einfach drauf achten, ob er von der Persönlichkeit her gut reinpassen würde. Das wäre schon deutlich einfacher, weil man sich dann nicht mehr so verstellen müsste. 
  • Vorstellungsgespräche per Chat abhalten
Viele Autisten können, wenn sie aufgeregt sind, nicht besonders gut sprechen. Es würde ihnen extrem entgegen kommen, wenn sie das Gespräch nicht mündlich abhalten müssten, sondern schriftlich. Im schriftlichen sind die meisten wesentlich besser aufgestellt. Außerdem würden dabei die ganzen sozialen Komponenten wegfallen, es läuft ja schließlich über den Computer. Ihr würdet staunen, wie viel besser Autisten rüberkommen würden, wenn sie schriftlich antworten. Man müsste das aber natürlich trotzdem wenigstens über Webcam machen, damit man zumindest den Ansatz eines Gefühls von dem Bewerber bekommt. Sonst könnte sich ja auch jeder andere vor den Computer setzen und man könnte gar nicht prüfen, ob es wirklich der Bewerber ist. 
  • Fragen im Vorstellungsgespräch verständlicher stellen.
Bei den meisten Fragen im Vorstellungsgespräch weiß eigentlich keiner so richtig, was der Personaler eigentlich wirklich wissen möchte. Ein klassisches Beispiel: "Erzählen Sie doch mal etwas über sich!" Ja was denn? Über meine Sandkastenliebe? Meine Spezialinteressen? (Kann natürlich in seltenen Fällen passend sein, in der Regel aber nicht) Soll ich erzählen, dass ich 2 Schwestern habe? Die Frage ist derart grob gestellt, dass noch nicht mal Neurotypen zuverlässig wissen, was sie antworten sollen - wie sollen es dann Autisten schaffen, die ein wortwörtliches Sprachverständnis haben? Es wäre immens wichtig, dass man zum Beispiel ganz konkret fragt: "Welchen Schulabschluss haben Sie? Wo haben Sie Ihre Ausbildung absolviert und was waren Ihre Aufgaben?" So was eben. Dann werden Sie auch das erfahren, was sie wirklich wissen wollen und der Autist verschwendet seine Ressourcen nicht mit sinnlosem raten. 
  • Auswahlkommission sollte möglichst klein sein
Viele Autisten haben große Probleme, wenn sie einer größeren Menschenmenge gegenüber sitzen, bzw. in großer Gesellschaft sind. Größere Menschenmenge bedeutet im Beispiel eines Vorstellungsgespräch eigentlich schon drei Menschen. Vor allem wenn sie bunt durchmischt Fragen stellen. Auf eine einzige oder maximal zwei Personen können wir uns ganz gut einstellen, alles andere ist unheimlich anstrengend. Vor allem weil wir ja dann von drei Personen die Verhaltensweisen deuten müssen, um herauszufinden, wie wir rüber kommen oder was sie wissen wollen. Wenn es denn schon mehrere Personen sein müssen, sollte man sich darauf beschränken, dass eine einzige Person die Fragen stellt und die anderen reine Beobachterfunktionen haben. 

Wichtig ist aber auch, dass solche Dinge wie "Bewerber hält keinen Blickkontakt" nicht in die Beurteilung einfließen. Vorausgesetzt natürlich, dass die Auswahlkommission vorher darüber informiert wurde, dass der Autismus besteht. (Sonst können sie es ja auch nicht riechen.) Außerdem wäre hilfreich, wenn vorher besprochen werden würde, worum das Gespräch gehen wird. SAP macht das zum Beispiel so. Sie konzentrieren sich vor allem auch hauptsächlich darauf zu erfahren, welche Stärken und Interessen die autistische Person vor ihnen hat.

Probiert es doch bei der nächsten Planung eines Auswahlverfahrens mal aus. Viele Anpassungen (wie z. B. klarere Fragen stellen) würden auch nicht-autistischen Bewerbern zu Gute kommen. Da bin ich ganz sicher. Habt einen schönen Tag.

Anne


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