KOMPASS-Training - Der Wegweiser für Autisten

Guten Tag,

willkommen zurück! Heute werde ich euch über das KOMPASS-Training aufklären. Der Name klingt so, als würde man lernen, das "sich am Magnetfeld der Erde orientierenden" Gerät zu benutzen. Mit dem Kompass an sich, hat es tatsächlich zwar nichts zu tun, ich finde den Vergleich aber ziemlich treffend. Denn auch das KOMPASS-Training soll dazu führen, dass Autisten lernen sich besser in der Welt zurechtzufinden. Konkreter: in der Welt der neurotypischen, nichtautistischen Menschen. 😉 

Wofür steht KOMPASS?

KOMPASS steht für Kompetenztraining für Jugendliche und junge Erwachsene mit Autismus-Spektrums-Störung. Es ist eine therapeutische Methode, die versucht jungen autistischen Menschen verständlich zu machen, warum sich ihr nicht-autistisches Umfeld so verhält, wie es sich verhält und ihnen zu erklären, was sie tun können/sollen um so zu reagieren, wie es die Umwelt erwarten würde. Diese Methode wurde in Zürich, konkreter im Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie entwickelt. 

Wie funktioniert das KOMPASS-Training?

Das Training findet grundsätzlich in Begleitung einer Therapeutin/Psychologin oder z. B. Heilpädagogin statt. Die autistische Person erhält zunächst ein Informationsblatt, z. B. zu Small Talk. Die Therapeutin bespricht dann gemeinsam mit ihr, welche Gründe es für Small Talk gibt, woran man erkennt, dass jemand Small Talk führt, über welche Themen man dann sprechen kann, etc. und klärt aufkommende Fragen. Wenn die Theorie vermittelt wurde, gibt es dann ein passendes Arbeitsblatt, wo das, was gerade besprochen wurde, geübt und gefestigt werden kann. Ich habe das Arbeitsblatt zu diesem Thema nicht, es könnten aber z. B. mehrere Gesprächssituationen aufgeschrieben sein und man muss erkennen, ob es sich dabei um Small-Talk oder ein "echtes" Gespräch handelt, und anschließend vielleicht auch noch eine passende Antwort dazu aufschreiben. 

Meistens bietet es sich an, das Arbeitsblatt sozusagen als Hausaufgabe zu machen, um sich nach der Stunde mit dem Gelernten noch einmal intensiv beschäftigen zu können. In der Folgestunde werden dann die Lösungen, die der Autist gefunden hat, gemeinsam besprochen und Unklarheiten bei der Übung werden aufgeklärt. Manchmal kann es sinnvoll sein, wenn noch ein zweiter autistischer Jugendlicher das Training mitmacht, sozusagen als Gruppentherapie. Denn selbst wenn ein Autist das, was ihm versucht wird beizubringen noch nicht so richtig verstanden hat, kann er vielleicht anhand der Äußerungen des Gegenüber verstehen, was gemeint ist und vor allem das Gelernte anwenden. Das ist aber nicht erforderlich, als Trainingspartner eignet sich ja immer noch die Therapeutin. 

Für das KOMPASS-Training wird kein Grundwissen vorausgesetzt. Es ist so konzipiert, dass auch schwerer autistische Jugendliche verstehen können, was vermittelt werden soll. Ein Beispiel zum Thema Emotionen: es wird erklärt, was Gründe dafür sein können, dass ein Mensch traurig ist, wie er aussieht, wenn er traurig ist und was er erwartet, wenn er einem mitteilt, dass er traurig ist. Und dann wird explizit erläutert, was der Autist tun kann, um das Gegenüber zu trösten. Je nach Schwere des Autismus ist die Perspektivübernahme (also sich in den Mitmenschen hineinzuversetzen) stark eingeschränkt. Durch die konkreten und intensiven Erläuterungen, wird diese Hemmschwelle behoben und man kann es dann viel besser nachvollziehen und sogar reagieren. 

Warum wird das KOMPASS-Training eingesetzt?

Für autistische Menschen ist das Verhalten ihrer nicht-autistischen Mitmenschen teilweise rätselhaft. Warum das so ist, ist bis heute nicht 100 %-ig geklärt. Eine Theorie ist eine verminderte Funktion von Spiegelneuronen. Diese Gehirnzellen sind dafür zuständig, dass man z. B. nachvollziehen kann, wie das Gegenüber sich fühlen muss, wenn es sich gerade den Fuß am Tischbein gestoßen hat. Sie nehmen den Schmerz durch das sehen und eigene Erfahrungen quasi selbst wahr. Durch sie ist es den meisten Menschen auch möglich, die Mimik von ihrem Gegenüber zu interpretieren ohne den Grund dafür zu erkennen. Außerdem haben die Gehirne von neurotypischen Menschen und autistischen Menschen verschiedene Arbeitsweisen. Auf jeden Fall fällt es Menschen im Autismus-Spektrum oft schwer, sich in ihre Mitmenschen einzufühlen und adäquat auf ihre Handlungen zu reagieren, bzw. zu verstehen, warum sie sich auf die eine oder andere Art verhalten. 

Aber nur weil Autisten nicht intuitiv "korrekt" handeln oder ihr Gegenüber verstehen können, heißt es nicht, dass sie sich a) überhaupt nicht dafür interessieren und b) nach Anleitung nicht sinnvoll agieren können. Die meisten Autisten haben durchaus Interesse daran, nachzuvollziehen wie ihre Mitmenschen ticken und wollen möglicherweise auch mal z. B. einen Freund oder ein Familienmitglied trösten, wissen aber nicht hundertprozentig, wie sie das anstellen könnten. Wenn sie aber eine Art Bedienungsanleitung (denn effektiv sind die Unterlagen des KOMPASS-Training genau das) für ihre Umwelt vorliegen haben, können sie das eine oder andere eben doch umsetzen. 

Eigene Erfahrungen mit dem KOMPASS-Training und Fazit

Während meiner Ausbildung im Berufsbildungswerk Dresden habe ich meine Diagnose erhalten. Aufgrund der Diagnose wurde dann gemeinsam mit meiner Ausbilderin überlegt, wie man mich am besten fördern und voranbringen könnte in meinen Fähigkeiten. Darum habe ich an Heilpädagogik (Therapieform, bei der der Therapeut seinem Klienten Techniken und Methoden an die Hand gibt, damit er weiß, was er tun kann, um mit Schwächen so umzugehen, dass er im Alltag möglichst wenig Probleme hat und sich vor allem selbst helfen kann.) teilgenommen. Die Heilpädagogin hatte gerade eine Fortbildung zum KOMPASS-Training gemacht und mir darum diese Methode vorgeschlagen. Ich fand die Idee gut und so haben wir ab und zu ein paar Dinge aus dem Training gemacht und besprochen. (In den anderen Stunden haben wir uns z. B. damit beschäftigt, wie ich lernen kann, einzuschätzen, wie viel Zeit ich für etwas brauchen könnte). 

Wichtig: Durch das KOMPASS-Training werden Autisten nicht automatisch zum Neurotypen. Es gibt Dinge (wie z. B. das hineinversetzen in andere Menschen oder Mimik erkennen) die Autisten NIEMALS intuitiv beherrschen werden, vollkommen irrelevant, wie oft sie es üben oder erklärt bekommen. Bestimmte Apps die für das Betriebssystem Android konzipiert wurden, werden auch niemals auf IPhones funktionieren, das ist einfach so. Es ist also kein Allheilmittel gegen Autismus, er ist ja ohnehin nicht heilbar. Es gibt einem als Autisten lediglich die Möglichkeit, z. B. gewisse Dinge nachzuschlagen, wenn man diese Informationen gerade braucht. Ich habe den Hefter nach wie vor und schaue ab und zu nach wenn ich etwas daraus wissen möchte, weil ich das Thema gerade spannend finde oder spezielle Informationen brauche, weil ich adäquat handeln möchte. So habe ich z. B. schon öfter vor Partys (vor Corona versteht sich😉😃) nachgeschaut, worüber ich mich mittels Smalltalk unterhalten könnte. Oder ich wollte einen Freund unterstützen, der gerade sehr gestresst war. Ich schätze mal, ich war bei dem Vorhaben nur bedingt erfolgreich, aber zumindest wusste ich, was ich tun kann. 

Im Gegensatz zur ABA-Therapie (siehe Extra-Beitrag) wird der Autist bei dieser Methode nicht versucht umzupolen und sich grundsätzlich so neurotypisch wie möglich zu verhalten. Bei ABA interessiert sich der Therapeut überhaupt nicht dafür, dass der Autist versteht, warum er sich so verhalten soll, sondern er wird einfach zurecht gebogen, damit es das Umfeld leichter hat. Die KOMPASS-Methode lädt den Autisten ein, sich mit seinen Mitmenschen auseinanderzusetzen und ihm die Möglichkeit geben, sich in der für ihn teilweise so komplizierten Welt besser zurechtzufinden. Derjenige, der die Methode entwickelt hat, schaut durch die Autismus-Brille und hat sich überlegt, was der Autist für Informationen benötigt, um die Gepflogenheiten seiner Umwelt verstehen zu können. Es wird sich also versucht, auf die Ebene des Autisten einzulassen. Darum bin ich ein absoluter Befürworter dieser Therapiemethode.

Vielleicht ist das ja auch etwas für euch bzw. euer Kind im Autismus-Spektrum. Fragt doch bei eurem zuständigen Therapeuten/Psychologen mal nach! Habt einen schönen Tag!

Anne







Quelle Foto Kompass: https://www.dalvey.com/de/voyager-kompass-blaues-perlmutt-03390?gclid=Cj0KCQjw1a6EBhC0ARIsAOiTkrECIS2B69_9P3Rj6kHv1VKe6ZMVojrD7uAaBOovWnKqY0Budn7fDAUaAkkXEALw_wcB

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