Ferienlager - eine gute Idee?

Hallo,

Eltern werden diese Zwickmühle vermutlich kennen: die Ferien stehen an, man selber muss arbeiten, aber die Kinder sollen ja trotzdem tolle Ferien verbringen und am besten gut betreut sein. Oma/Opa? Hort? Aber der hat ja auch nicht immer offen, was liegt da näher als ein Ferienlager? Spannende Erlebnisse, liebe Betreuer, die aufpassen dass nichts passiert, viele Kinder zum Spielen, perfekt. Oder vielleicht doch nicht? 

Ich selber war ein paar Mal in Ferienlagern, die von Erzieherinnen aus meinem Hort geleitet wurden und einmal in einem richtigen von der AWO, an der Ostsee. Mir haben Ferienlager nie gefallen. Mindestens eine Woche von den Eltern weg, fremde Umgebung, viele fremde Kinder, fremde Betreuer - das liegt nicht gerade jedem Kind. Bei den Ferienlagern die der Hort geleitet hat, gings eigentlich - die wussten wie ich ticke und es waren nicht allzu viele Kinder dabei. Dort hatte ich am Anfang nur ein bisschen Heimweh, wie viele Kinder, dadurch dass ich die Erzieher und die Kinder aber kannte, war es erstaunlich problemlos. Aber das große Ferienlager war ne Katastrophe. Das war in meinem Jugendalter und Jugendliche können meistens nicht so viel mit anderen Jugendlichen anfangen, die vielleicht ein bisschen speziell sind. Es war zwar ein Ferienlager für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung, bis auf mein Kumpel, ein weiterer Junge von meiner Schule und mir, waren es eigentlich alles Jugendliche ohne Behinderung. 

Es gibt natürlich einige Vorteile an einem Ferienlager:

  • Bei manchen Kindern steigt die Selbstständigkeit. Dadurch, dass die Erzieher sich um mehrere Kinder kümmern müssen, können sie gar nicht jedes Kind bei allem unterstützen, wo es zu Hause Hilfe bekommt. Die Kinder müssen zwangsläufig also das eine oder andere selber ausprobieren. Außerdem ist die Motivation etwas selber hinzubekommen ja doch größer, wenn andere im gleichen Alter das schon können...

  • Viele Kinder im Autismus-Spektrum haben nicht viele Freunde. Mit der Unterstützung der Betreuer vor Ort findet sich im Ferienlager bei einem Haufen Kinder garantiert jemand, mit dem sie spielen möchten und vielleicht bleibt der Kontakt ja auch danach bestehen?

  • Dadurch, dass so viel Ausflüge unternommen und Spiele gespielt werden, können die Interessengebiete der Kinder erweitert werden. Autisten sind in ihren Interessen ja doch meistens eingeschränkt und sie lassen sich möglicherweise nicht so gut für neues begeistern. Wenn sie aber aus organisatorischen Gründen eh mit hingehen "müssen", entdecken sie vielleicht ja doch das eine oder andere, das ihnen Spaß macht.
Wenn es Vorteile gibt, gibt es aber logischerweise auch Nachteile:
  • Heimweh (logisch, haben viele nicht-autistische Kinder ja auch)
  • Durch Schwierigkeiten Kontakte zu knüpfen, kann es passieren, dass Kinder im Autismus-Spektrum sich im Ferienlager alleine fühlen. Im Ferienlager bei der AWO hatte ich ausschließlich meinen Kumpel als Hauptkontaktperson, mal abgesehen von einer Betreuerin. 

  • Es kann Probleme geben, wenn das Kind sehr selektiv isst. Es wird ja höchstwahrscheinlich nicht haargenau dasselbe Essen wie zu Hause geben. Autistische Kinder kann das sehr irritieren. 

  • Manche Kinder können sich sehr schlecht auf neue Bezugspersonen einstellen. Wenn es schlecht läuft, sprechen sie nicht mit den Betreuern vor Ort, sondern ziehen sich in sich selbst zurück. Dem kann man aber vorbeugen. 

  • Es kann aufgrund der vielen Aktionen und vielen Kinder auf einem Haufen zu Reizüberflutungen kommen. 

Ein Ferienlager kann aber auch für ein autistisches Kind wunderschön werden, wenn man mit dem Wissen über die persönlichen Baustellen des Kindes, ein paar (möglicherweise auch unorthodoxe) Vorbereitungen trifft:

  • Es kann sehr hilfreich sein, wenn ein Kind mit ins Ferienlager fährt, mit dem das autistische Kind bereits sehr gut befreundet ist, vielleicht auch die Schwester/der Bruder. So fühlt es sich auf keinen Fall alleine, egal wie lange der Kontaktaufbau mit den anderen Kindern dauert. 

  • Für den Anfang sollte es ein Ferienlager sein, das nicht weit weg vom Wohnort ist. Sollte es überhaupt nicht klappen, kann man das Kind dann wenigstens unkompliziert und schnell wieder abholen. Außerdem sollte man mit einem überschaubaren Zeitraum anfangen, vielleicht 3 bis maximal 5 Tage. 

  • Vielleicht besteht die Möglichkeit, das Betreuerteam vorab schon mal kennenzulernen, damit sich das Kind schon mal auf die Bezugspersonen der nächsten Tage einstellen kann. Außerdem kann man dann mit ihnen schon mal wichtige Dinge besprechen und ihnen erklären, wie das Kind so tickt und worauf die Mitarbeiter möglichst achten sollen. 

  • Wenn das Ferienlager nicht weit vom Wohnort entfernt ist, kann es helfen, wenn man vorab mit dem Kind schon hinfährt und die Gegend erkundet. So ist es vielleicht nicht ganz so fremd. 

  • Bevor das Ferienlager anfängt, sollte man das Kind schon mal vorbereiten, wie es ist woanders zu übernachten. Vielleicht eine Übernachtung bei Oma und Opa. Erst mit den Eltern und (so vorhanden Geschwistern), dann ohne Eltern - nur mit Geschwistern und irgendwann alleine. So wird es vielleicht auch nicht allzu stark vom Heimweh überrollt. 

  • Vorhersehbarkeit ist das allerwichtigste: Es besteht bestimmt schon ein Plan, was in dem Ferienlager alles wann gemacht werden soll. Wenn man das erfragt und das in dem üblichen Struktursystem einträgt, ist es immer vorhersehbar, was das Kind an dem jeweiligen Tag erwartet und wie lange es noch von zu Hause weg ist. 

  • Es gibt Ferienlager, die speziell für Kinder mit Behinderungen ausgerichtet sind. Vielleicht gibt es so etwas ja auch in eurer Nähe. Die Betreuer dort sind auf jeden Fall geschult und wissen, was sie tun müssen, damit es ihrem auf Zeit anvertrauten Schützling möglichst gut geht. 

  • Falls das Kind selektiv isst, könnte man erfragen, ob es möglich ist, die bekannten Lebensmittel von zu Hause mitzugeben und dort aufzuwärmen/zu toasten/etc. Je weniger fremde Dinge die auf das Kind einströmen, desto besser.

  • Anfängliche Schüchternheit/nicht auf die Betreuer zu gehen, kann durch non-verbale Kommunikation (also z. B. schreiben/zeichnen/zeigen) überbrückt werden. Außerdem sollten die Betreuer von sich aus regelmäßig auf ihren Schützling zu gehen und explizit nach seinen Bedürfnissen und Wohlbefinden fragen.
Das wären so die wichtigsten Tipps, die mir einfallen, welche man überdenken könnte, wenn man überlegt, ob man sein autistisches Kind ins Ferienlager schicken möchte. Wichtig ist natürlich immer, das Kind zu fragen, ob es sich grundsätzlich in der Lage fühlt, so etwas mal auszuprobieren. Es kann auf jeden Fall nicht schaden, es mal auszuprobieren. Wenn man vorher alle Beteiligten über die Besonderheiten aufklärt, kann es zu einem wunderschönen Erlebnis werden, den euer Mädchen/Junge niemals vergessen wird. :-)

Habt einen schönen Tag!
Anne

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