Autismus und Kindheit

Hallo,

ein guter Freund von mir, hat mir den Vorschlag unterbreitet, ich könnte ja mal über das Thema Autismus und Kindheit schreiben. Da ich keine pädagogischen Kenntnisse habe bzw. kein eigenes Kind, kann ich natürlich nur über meine eigenen Erfahrungen mit dem Thema schreiben. Heute versuche ich mich also an meine Kindergarten- und Schulzeit zu erinnern, natürlich mit dem Wissen, welche Symptome Autismus mitbringt. 

Kindergartenzeit

Meine Kindergartenzeit hat mir ziemlich gut gefallen. Ich hatte zwei super liebe Erzieherinnen - Ute und Moni. Sie waren in der Kita meine Hauptbezugspersonen. Mit den Kindern konnte ich nicht so viel anfangen. Ich hatte ein - zwei Kinder mit denen ich regelmäßig gespielt habe, ansonsten habe ich mich aber hauptsächlich mit mir selbst beschäftigt, habe viel gemalt und gepuzzelt. Eigentlich habe ich die ganze Zeit in unmittelbarer Nähe zu Ute aufgehalten und mich eigentlich nicht von ihr wegbewegt. Ich habe damals schon gespürt, dass Autisten meistens Schwierigkeiten mit der Koordination und Bewegung haben - um es konkreter zu formulieren: ich bin ständig hingefallen. :D Bei uns in der Kita gab es das Ritual, dass man Beulen mit einem Stäbchen Wassereis gekühlt hat, anschließend durfte man es dann essen. Quasi so ein bisschen als Trost. Ihr glaubt nicht, wie viel Wassereis ich in meiner Kitazeit verputzt habe. 

Mittagsschlaf habe ich immer gehasst. Ich konnte nie schlafen und habe immer vor mich hingeschaut. Es war richtig langweilig. Irgendwann hat meine Mama ein Buch im Schlafsack meiner Puppe geschmuggelt. Meine Erzieherin hat dann eingesehen, dass ich ohnehin nicht schlafen kann, seit dem habe ich die Erlaubnis bekommen, in der Mittagsruhe Bilderbücher anzuschauen. Was mir zum Thema Rituale einfällt: wir hatten die sogenannte Teddybären-Matratze im Kindergarten. (Eine Matratze mit Teddys drauf.) Ich durfte jeden Tag auf dieser Teddy-Matratze liegen während der Schlafenszeit. Meine Erzieherinnen haben sie für mich verteidigt. Einmal hat ein anderer Junge versucht, die Matratze zu ergattern, kurz um: es war eine absolute Katastrophe. Ich habe bitterlichst geweint, glücklicherweise hat Moni erkannt, dass das ein Trick war und ich durfte doch darauf schlafen. 

Schulzeit

Ich war in einer Schule für körperbehinderte Kinder/Jugendliche - von der 1. bis zur 10. Klasse. Eigentlich hat es mir in der Schule immer sehr gut gefallen. Wir hatten eine kleine Klasse und ich habe mich immer ganz gut mit meinen Klassenkameraden verstanden. Es kam mir zu Gute, dass wir nur so wenige waren, in einer gewöhnlichen Schule hätte ich mit Sicherheit die Krise gekriegt. Nicht weil ich es leistungsmäßig nicht geschafft hätte, immerhin habe ich auch an meiner Schule den Realschulabschluss gemacht, und das nicht schlecht - sondern wegen der Menge an Mitschülern. Auf meine paar Mitschüler konnte ich mich sehr gut einstellen und habe auch mehrere Freunde. Meine Hauptbeschäftigung in den Pausen bestand eigentlich immer darin, gemeinsam mit zwei anderen aus meiner Klasse Runden zu drehen. Ich kann mich zwar noch extrem gut an viele Einzelsituationen erinnern, aber insgesamt ist es schwierig, die zehn Schuljahre zusammenzufassen bzw. auf Autismussymptome zu beziehen. Tatsächlich würde ich sogar sagen, dass ich in der Schule so gut wie gar nicht auffällig war, weil die Schule ja für Schüler mit spezielleren Bedürfnissen ausgerichtet war und die Lehrer geschaut haben, was ich brauche. Ich hatte wunderschöne Schuljahre. 

Was mir zum Thema Klassenarbeiten einfällt: ich war, selbst in Mathe grundsätzlich wesentlich besser, wenn ich in einem Extraraum geschrieben habe, weil ich z. B. zum eigentlichen Schreibtermin krank gewesen bin. Vollkommen egal wie schwer das Thema war, ich weiß auch nicht, warum es so war. Vermutlich war wesentlich weniger Ablenkung in einem Extraraum, als wenn ich im Klassenraum geschrieben habe. Ich hatte eine extrem gute Rechtschreibung, kam aber überhaupt nicht gut mit Zahlen klar. Meistens konnte ich irre gut Gedichte auswendig lernen. :-) Mathe, Physik, Chemie war überhaupt nicht meins, vor allem vor den Experimenten in Chemie hatte ich immer Bange. Ich hatte aber eine liebe Chemielehrerin, die mir immer geholfen hat. Sie hat zum Beispiel den Bunsenbrenner für mich angemacht. Schule hat mir meistens Spaß gemacht, nur die genannten Fächer, Sport und Schwimmen haben mir nicht besonders gut gefallen.

Was mir allerdings meine damalige Erzieherin verraten hat: wenn ich irgendwie enttäuscht war oder irgendwie etwas überhaupt nicht hinbekommen habe und frustriert war, habe ich mich so verhalten, wie man das von Autisten klassischerweise behauptet. Ich war dann irgendwie mega in mich gekehrt und man hat eigentlich keine Chance gehabt, an mich ran zu kommen. Da sie ja aber schon ihre Erfahrungen mit mir hatten, haben sie es dann meistens auch gar nicht erst versucht, sondern abgewartet, bis ich von alleine wieder auftauche. Das hat meistens so eine halbe Stunde gedauert. 

Spielverhalten:

Der größte Teil meiner Freizeit hat eigentlich immer aus Sandkasten (als ich älter war, hatte ich dann nur noch ein paar Eimer - einen mit Vogelsand gefüllt, in den anderen habe ich reingesiebt), schaukeln, Geschichten schreiben, Gitarre spielen, auf meinem Holzpferd reiten (als ich noch kleiner war), Trampolin springen und Schwimmhalle/Pool bei meiner Freundin bestanden. Das waren meine Lieblingsaktivitäten, damit konnte ich mich auch stundenlang beschäftigen. Was auch ganz hoch im Kurs stand: Autofahren und Zug (Regionalverkehr) fahren und dabei eine Cola trinken. Am liebsten so weit wie möglich. Ich war nie eines der Kinder, die immer gefragt haben: "wann sind wir denn endlich da?" Die perfekte Wochenendaktion für mich war, wenn wir mit dem Auto irgendwo durch die Gegend gefahren sind und Musik gehört haben. Wirklich jammerschade, dass ich noch immer keinen Führerschein habe, sonst würde ich das deutlich öfter tun, so brauche ich aber natürlich immer jemand, der mich durch die Gegend kutschiert.

Freunde:

Ich hatte nie die große Clique, wie das bei den meisten Jugendlichen der Fall war. Ich habe mich überwiegend mit meiner Freundin im Ort getroffen (nahezu täglich). Außerdem hatte ich 2 Partner (nacheinander), mit denen ich mich dann auch ganz oft getroffen habe. Zusätzlich bin ich mit einem Kumpel regelmäßig in die Stadt gefahren, zum shoppen oder ins Kino gehen. Ich war für ein paar Jahre im Minigolfverein angemeldet. Konnte das sogar ganz gut, weil ich mich dann immer ganz gut reingefuchst habe. Ich war aber immer unsicher, ob ich wirklich hinfahren will zum spielen, weil ich immer nicht wusste, wer Platzdienst hat und wen ich dort antreffen werde. Eine Überwachungskamera wäre gut gewesen. :D Dann hätte ich mich hervorragend darauf vorbereiten können, wen ich dort antreffe. Die Leute waren alle super lieb, keine Frage. Eine wirkliche Bindung hatte ich aber nur zu circa 4 Menschen - unserer Jugendtrainerin/ihrem Partner, zwei Mitgliedern. Außerdem habe ich mich mit 2 - 3 Jugendlichen ganz gut verstanden, aber das war es dann auch schon. Mit den anderen habe ich mich gelegentlich unterhalten, tatsächlich aber meistens nur, wenn ich irgendeine Frage zur Technik hatte. Ab und zu war Freitags Vereinsgrillen (ich weiß leider nicht mehr den Rythmus). Sie haben mich eigentlich immer motiviert, an dem Grillen teilzunehmen, ich war aber effektiv maximal 3 x dabei. Es waren einfach zu viele Leute (die ich zwar alle kannte, aber zu denen ich nicht so wirklich Bindung hatte) und ich wusste nie was ich mich unterhalten soll. 

Spezialinteresse/besondere Fähigkeiten

Mein Hauptspezialinteresse ist ganz eindeutig Kleinmesse gewesen. Für die Leser die nicht in Leipzig wohnen: das ist eine Kirmes, die in Leipzig meistens im Frühling, Sommer, Herbst stattfindet. Ich hätte jeden Tag dort sein können. Erstens hatte ich ca. 4 Fahrgeschäfte, die ich bis zum erbrechen (nein, ich habe nie gekotzt) gefahren bin und zweitens fand ich die Arbeit der Schausteller unglaublich beeindruckend. Während ich gefahren bin, habe ich sie heimlich immer beobachtet. Mein absolutes insgeheimes Ziel ist es, mal selbst ein Fahrgeschäft zu steuern. Ich habe mich dann intensiv damit beschäftigt, wie ich meine Körperhaltung verändern muss, um zum Beispiel nicht so hin- und hergeschüttelt zu werden. Außerdem habe ich Buch geführt über die Fahrgeschäfte die bei den einzelnen Kleinmessen da waren, welchen Schaustellern sie gehören, welche Lieder auf der Kleinmesse gespielt wurden und ob irgendwelche interessanten Dinge dort passiert sind. Ich habe auch intensiv nach Kirmestricks gegoogelt, weil ihr es seid hier ein Tipp von mir, wie ihr möglichst schnell aus einem Labyrinth befreien könnt. Es gibt durch ein Labyrinth grundsätzlich zwei Ideallinien. Der größte Fehler den ihr machen könnt: immer mal wechseln zwischen links und rechts abbiegen. Ihr müsst euch vorher festlegen, ob ihr immer rechts oder immer links abbiegen wollt und das dann konsequent umsetzen. Wenn ihr in einer Sackgasse landet, müsst ihr natürlich zurück und einmal in die andere Richtung abbiegen, dann müsst ihr aber wieder an eure Festlegung denken. Wenn ihr der Ideallinie folgt, seit ihr wenn es nicht allzu komisch läuft, in spätestens einer Minute draußen. Wenn ihr kreuz und quer lauft, könnt ihr locker schon mal 5 Minuten da drin verbringen. (Für euch getestet, nach 4 Minuten hatte der Schausteller dann Mitleid und hat uns von außen Zeichen gegeben :D) 

Außerdem habe ich die Hörspiele von Bibi und Tina, Bibi Blocksberg, Benjamin Blümchen und Elea Eluanda permanent und so oft gehört, dass ich sie schon mitsprechen konnte. Zur Entspannung höre ich das heute noch manchmal. :-) Bei Elea Eluanda gab es eine Sprache die in einem Fantasieland gesprochen wurde, in dass sie manchmal gereist sind. Ob ihr es glaubt oder nicht - ich hatte ein Vokabelheft. 🙈 Ganz hoch im Kurs war auch Schloss Einstein. 

Meine besondere Fähigkeit (nicht mit Inselbegabung verwechseln) ist mein gutes Gedächtnis. Ich kann mich an dutzende Begebenheiten aus meiner Kindheit mit genauem Wortlaut der mit anwesenden Personen erinnern. Wollt ihr mal wissen, wie der Pilot hieß, der meinen Bruder, meine Oma und mich in die USA geflogen hat? - Joachim Rindfleisch. Meine Erinnerungen reichen teilweise bis ins Alter von 3 Jahren rein. Das ist wirklich krass. Ich kann nicht Tag und Datum sagen, dafür kann ich aber wie gesagt sagen, was die Leute damals gesagt haben. Mein Kopf ist ein einziges kleines Tagebuch/Diskette. Funfact: mit 5 dachte ich, ich könnte lesen. Ich hatte ein sehr dickes Bilderbuch (Bobo Siebenschläfer), wo unter dem Bild immer ein Teil der Geschichte stand. Meine Eltern haben es mir so oft vorgelesen, dass ich irgendwann auswendig wusste, was unter den Bildern stand. Da ich damals aber nicht wusste, dass mein Gedächtnis so gut ist, dachte ich eben, ich könnte lesen was da steht. Eine Leistung war es aber trotzdem - das Buch ist wirklich dick. Memory dagegen konnte ich nicht. Ich habe immer verloren. 

Das wären so die Hauptkategorien, die mir zum Thema Kindheit einfallen. Wenn ihr euch noch eine bestimmte Kategorie wünscht, die ich vielleicht vergessen habe, gebt gern Bescheid. Habt einen schönen Tag.

Anne

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