Reizüberflutung, Meltdown und Shutdown - Teil 2: Der Meltdown

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wie gestern angekündigt, möchte ich euch heute mehr über den Meltdown erzählen. Meltdown bedeutet wörtlich übersetzt u. a. Kernschmelze/Zusammenbruch und ich finde, dass diese Bezeichnung hervorragend passt. Tatsächlich handelt es sich dabei um einen Zustand, der sich am besten mit kompletter Eskalation beschreiben lässt. 

Wie äußert sich ein Meltdown und was löst ihn aus?

Wenn sich der autistische Mensch sich nicht mehr aus einer Reizüberflutung befreien konnte oder der Tag komplett anders verläuft, als es der gewöhnlichen Routine entsprechen würde, reagiert das Gehirn, in dem es eine Art Alarmzustand ausruft. Er kann entweder dazu führen, dass das komplette Abschalten passiert (das wäre der Shutdown, den ich morgen beschreibe), oder es eskaliert komplett, das ist der Meltdown. Es ist, als würde eine Art Schalter umgelegt werden und dann geht überhaupt nichts mehr. Ich würde es mit Kontrollverlust vergleichen. Wie äußert sich das?

  • meist starkes Weinen
  • die Person schlägt auf den Boden, auf Gegenstände in der Umgebung und auf sich selbst ein
  • manche werfen mit Gegenständen
  • evtl. schreien
  • manchmal tritt zusätzliches selbstverletzendes Verhalten wie z. B. sich selbst beißen, Kopf gegen Wand schlagen ein.
Das schlagen richtet sich in der Regel nicht gegen andere Personen! Die autistische Person ist nicht grundsätzlich aggressiv. Ich selbst würde dabei niemals einen anderen Menschen verletzen. Ich kenne einen autistischen Menschen, der zum Beispiel einen Hund hat, auch der Hund würde niemals in Gefahr geraten durch einen Meltdown, da sich das Verhalten tatsächlich nahezu ausschließlich gegen sich selbst richtet. Nicht mit Absicht, es handelt sich dabei nicht um zielgerichtetes selbstverletzendes Verhalten, sondern es ist nicht kontrollierbar. Das selbst schlagen/beißen/etc. sind der verzweifelte unterbewusste Versuch, die überfordernden Reize bzw. die Überforderung durch Gefühle oder verlorene Struktur irgendwie zu überdecken. Ich z. B. beiße mich nicht und schlage auch nicht den Kopf gegen Wände, aber es gibt eben autistische Menschen, denen auch das passiert, darum habe ich es mit aufgeführt. Für außenstehende Menschen sieht ein Meltdown wie ein klassischer Wutanfall aus, es ist aber keiner, das gilt es strikt zu trennen!

Wo ist der Unterschied zwischen Wutanfall und Meltdown?

Wutanfall: Der Wutanfall tritt klassischerweise auf, wenn Dinge nicht so laufen, wie man sich das vorstellt. Kleine Kinder bekommen oft auch einen Wutanfall, wenn sie z. B. nicht das geforderte Spielzeug gekauft bekommen. Er ist zweckgerichtet. Der Mensch mit Wutanfall möchte damit erreichen, dass sein Willen evtl. doch noch erfüllt wird. Der wichtigste Unterschied zum Meltdown ist, dass die Person lenkbar ist. Wenn das gewünschte in Aussicht gestellt wird oder ein Lösungsvorschlag angeboten wird, wird sich der Mensch recht schnell wieder beruhigen.

Meltdown: Direkt zum Anfang der wichtigste Unterschied zum Wutanfall: Der Meltdown ist nicht steuerbar. Vollkommen irrelevant was angeboten wird oder wie man auf die Person einredet, der Zustand kann nicht willentlich beendet werden. Das liegt daran, dass er eben durch Überforderung durch Reize, Gefühle, Strukturverlust auftritt und nicht weil der Autist etwas bestimmtes erreichen will. Im Prinzip ist der autistische Mensch dem Anfall ausgeliefert, bis irgendwann die Energie komplett weg ist, oder sich die Anspannung abgebaut hat. 

Beispiele aus eigener Erfahrung:

Den allerheftigsten Meltdown hatte ich während meiner Ausbildungszeit. Es waren bei der Berufsschule mehrere Tage mit Ausflügen angesagt, also schon mal komplett anders, als mein Tag sonst ablaufen würde. Es war wahnsinnig heiß und es waren ganz viele Reize, da mehrere Berufsschulklassen zusammen geschlossen wurden - ich hatte also auch noch mit fremden Menschen zu tun. Zwei Tage lang habe ich es ausgehalten, am zweiten Tag abends ist es dann vollkommen eskaliert. Zu dem Zeitpunkt hatte ich meine Diagnose noch nicht lange, ich habe also noch nicht erkannt, wann ich mir Ruhe gönnen muss. Es hat sich also immer mehr innere Anspannung aufgebaut. Ich wollte mich noch mit einer Person treffen und die hat abgesagt, was dann letztendlich der letzte Tropfen auf dem heißen Stein war, weil sich der Mensch nicht so verhalten hat, wie ich es von ihm gewohnt war - es kam also auch noch die Abweichung dazu. Ich habe es gerade noch geschafft aufzulegen, danach war ich anderthalb Stunden einem heftigen Meltdown ausgesetzt. Ich konnte es nicht unterbrechen, keine Chance. Hinterher bin ich dann in einen Shutdown gerutscht (dazu morgen mehr). 

Der zweitheftigste Meltdown war, als ich versucht habe, mein Zimmer aufzuräumen. Ich hatte leider kein System, wie ich aufräumen wollte, bzw. wo was hin soll - es sah gelinde gesagt aus wie Bombe (RW). Ich wusste dann nicht mehr, wo ich anfangen soll und wo vorne und hinten ist. Und dann kamen noch Menschen in mein Zimmer, die sich über das Chaos beschwert haben und auf mich eingeredet haben, sie wollten mir dabei helfen aufzuräumen, aber ich war schon so derart überreizt, dass das viel zu viel war. Ich hätte in dem Moment absolut dringend meine Ruhe gebraucht um später in Ruhe aufzuräumen, dadurch dass aber auf mich eingeredet wurde und auch noch Anforderungen an mich gestellt wurden, ist es dann eskaliert. Mit weinen und Schreikrampf und allem was so dazu gehört hat. 

Was hilft gegen einen Meltdown und wie kann man vorbeugen?

Wie ich schon angedeutet habe, kann der Meltdown eigentlich nicht unterbrochen werden. Es hilft tatsächlich nur, den Zustand auszuhalten, bis er vorbei ist. Man kann als außenstehende Person nur versuchen, ein bisschen dafür zu sorgen, dass es nicht noch schlimmer wird. 
  • Gegenstände auf die eingeschlagen wird, wenn möglich mit Kissen oder ähnlichem ausstatten um Verletzungen nach Möglichkeit zu vermeiden
  • die autistische Person wenn irgendwie möglich NICHT anfassen oder ansprechen
Erstens wäre es ein zusätzlicher Reiz und zweitens kann es dadurch versehentlich dazu führen, dass man verletzt wird. Wie oben schon beschrieben, passiert das keinesfalls mit Absicht. Aber dadurch das man gerade ohnehin komplett am eskalieren ist, wird sich die Person vielleicht gegen den Reiz wehren. 
  • der Person die den Meltdown erleidet beistehen, einfach zeigen, dass sie nicht alleine ist mit dem schrecklichen Zustand
Mehr kann man leider Gottes nicht machen. Wichtig: manche autistische Menschen bemerken, wenn sie einem Meltdown nahe sind und versuchen sich durch Selbststimulation davon abzuhalten. Zum Beispiel durch starkes reiben an Armen oder Beinen. Wenn man diese Selbststimulation bemerkt, sollte man sie erstens auf keinen Fall unterbrechen und zweitens kann man in diesem Stadium noch versuchen, die Person abzulenken. Das funktioniert aber nur, wenn der Meltdown durch überfordernde Gefühle ausgelöst wird. Wenn diese aufgeklärt werden, kann der Meltdown unter Umständen noch aufgehalten werden. Das hat bei mir schon zwei mal durch sehr aufmerksame Menschen funktioniert. Ich bin denen wahnsinnig dankbar, ein Meltdown ist ein Zustand, den man niemals erleben möchte. 

Morgen geht es dann wie versprochen um den Shutdown. Habt einen schönen Tag!
Anne

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