Reizüberflutung, Meltdown und Shutdown - Teil 3: Der Shutdown

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heute ist der letzte der drei Hauptzustände dran, in die Menschen im Autismus-Spektrum reingeraten können: der Shutdown. Was ist ein Shutdown? Kennt ihr diesen roten Knopf in Räumen mit vielen elektrischen Geräten? Wenn man den drückt, geht alles in diesem Raum aus - der Not-Aus-Knopf. Den gibt es in virtueller Form auch beim autistischen Gehirn. Wenn Reize zu stark auf das Gehirn einströmen und der autistische Mensch nicht aus der Situation entfliehen kann, betätigt es selbst genau diesen Knopf und dann passiert dasselbe, wie bei den elektrischen Geräten - nämlich gar nichts mehr. Es unterbindet nahezu alle Reize, um endlich zur Ruhe zu kommen. 

Wie äußert sich ein Shutdown?

Es gibt zwei verschiedene Arten von Shutdowns die ich erlebt habe. Der eine wird durch überfordernde Gefühle, der andere durch reine Reizüberflutung. Ein Shutdown kann nämlich auch entstehen, wenn den Autisten Gefühle komplett überfordern (besonders schlimm ist es, wenn man die Gefühle nicht deuten kann, aber in aller Macht zu spüren bekommt. Ja das geht. Wir nehmen die Gefühle durchaus wahr, können sie aber nicht zuordnen, das ist viel schlimmer manchmal.) 

Den Shutdown hatte ich bisher erst einmal. Ich war komplett überfordert von ungeklärten starken Emotionen, war aber gleichzeitig bei einer Feier, die wahnsinnig schön war, aber komplett ungewohnt war. Irgendwann habe ich das Gefühl gehabt, ich muss mich zurückziehen, habe mich auf einen Sessel gekauert und dann ging der Shutdown eigentlich auch schon los: ich habe mega geweint (Gefühle halt) und konnte mich nicht mehr bewegen. Ich bin der Meinung, dass ich von meiner Umgebung alles mitbekommen habe, konnte aber nicht mit ihr interagieren, weil ich nicht sprechen konnte. Auf meine Hauptbezugsperson konnte ich mit wenigen Worten reagieren, bei allen anderen ging es nicht, egal wie stark ich mich bemüht habe, ein Wort über die Lippen zu bekommen. Der Zustand hat erst aufgehört, nachdem eine psychologisch geschulte Person in dem Umkreis auf Augenhöhe sich neben mich gesetzt hat und mir ganz klare Fragen zum eigenen orten gestellt hat: "Tut dir etwas weh? Ist jemandem etwas passiert? Ist jemand verletzt?" Ich bin nicht mehr hundertprozentig sicher, welche Fragen sie genau gestellt hat. Im Nachhinein hat es mir leid getan, dass ich ihr nicht geantwortet habe, aber sie hat mich mit ihren Fragen aus dem Zustand rausgeholt. Nur dadurch konnte ich später mit einer Person sprechen, vorher wäre das absolut unmöglich gewesen. Hinterher war ich irrsinnig erschöpft und konnte nur sehr schlecht laufen, etc. 

Der Shutdown der durch Reizüberflutung ausgelöst wird, ist ganz anders. Da schaltet das Gehirn nämlich sämtliche Sinne ab. Es ist eine Art schlafähnlicher Zustand. Man legt/setzt sich irgendwo hin und irgendwann ist man wieder klar und weiß nicht, was in der Zwischenzeit passiert ist, wie viel Zeit vergangen ist, etc. Ich finde diesen Zustand immer ziemlich gruselig, darum bin ich irre froh, dass ich ihn bisher wissentlich erst 4x hatte (vielleicht schon öfter, aber erst seit der Diagnose konnte ich logischerweise zuordnen was es war. An Meltdowns kann ich mich in der Kindheit da eher erinnern, was aber auch daran liegen könnte, dass meine Kindheit und Jugendzeit so gestaltet war, dass ich eigentlich so gut wie nie derart heftig überfordert war, dass mein Gehirn den Notaus betätigen musste, weil sehr stark auf meine Bedürfnisse eingegangen wurde, mein Alltag war richtig gut strukturiert, etc). Es ist schwer zu beschreiben, wie ein Shutdown aussieht, ich sehe mich ja nicht dabei. Ich weiß nur, dass ich in dem Moment nicht schlafe. Ich kann mich zwar an den Zeitraum des Shutdowns nicht erinnern, bin hinterher aber so erschöpft, dass ich nicht geschlafen haben kann. Es ist dann alles hundeschwer, so als hätte man 20 kg Beton an jedem Körperteil dran - nach dem Schlaf ist man erholt. Zudem bin ich nach einem Shutdown wahnsinnig müde, was dementsprechend gegen den Schlaf spricht. 

Was hilft gegen den Shutdown?

Leider gar nichts. Es gilt wie auch beim Meltdown: abwarten. Man kann einen autistischen Menschen nur mit extrem starken Reizen aus dem Shutdown holen. Ich habe zum Beispiel immer Ammoniak-Ampullen dabei. Damit könnte man mich rausholen, es ist aber absolut nicht empfehlenswert. Der Zustand hört von selber auf, wenn das Gehirn sich von der Überforderung erholt hat - die Zeit braucht es aber auch. Das Gehirn würde nicht alle Sinne abschalten, wenn es irgendwie anders ginge. Denn das bedeutet ja immer auch Kontrollverlust, wenn man sich nicht bewegen kann und nichts sieht, hört, spürt. Darum die dringende Bitte an euch: wenn es nicht lebensnotwendig ist, wartet bis der Shutdown vorbei ist, ihr macht es sonst noch schlimmer.

Dadurch dass man sich nicht bewegen kann, wird mir z. B. sehr schnell kalt, darum kann es hilfreich sein, den Autisten mit einer leichten Decke zuzudecken und einfach bei ihm zu sein und Publikum fernzuhalten. Auch wenn wir nichts mitbekommen, spüren wir irgendwie doch, dass jemand bei uns ist. 

Habt einen schönen Tag und bis bald!
Anne

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