Reizüberflutung, Meltdown und Shutdown - Teil 1: Die Reizüberflutung

Hallo ihr Lieben,

willkommen zurück. In diesem und den nächsten beiden Beiträgen geht es um "Zustände" die durch Autismus auftreten können: Overload (Reizüberflutung), Shutdown (kompletter Rückzug), Meltdown (Ausraster durch Reizüberflutung, Überforderung). Ich werde erklären, woran man diese Zustände erkennt, was dagegen helfen kann und wie ich sie erlebe. Da die Reizüberflutung in aller Regel vor diesen beiden Zuständen kommt, fange ich damit an. 

Was ist ein Overload und was sind mögliche Auslöser?

Zuallererst: Reizüberflutung erleben auch Menschen, die nicht im Autismusspektrumsstörung sind. Wie der Begriff schon sagt, stürmen in diesem Moment zu viele Reize auf den Menschen ein. Bis zu einem gewissen Punkt, kann er die Reize verarbeiten, irgendwann kommt aber der Punkt, an dem keine mehr aufgenommen werden können und es einen wie ein Sturm überfällt. Das können ganz offensichtliche Reize wie: 

- Gerüche (z. B. intensive Parfums, Essensgerüche im Restaurant, ...)
- Geräusche (z. B. Vogelgezwitscher, Glockengeläut, Waschmaschine)
- zu viele Menschen auf einem Haufen
- sensorische Reize (z. B. kratzender Pulli, Hitze im Sommer, ...)

sein, aber auch Reize, die man jetzt nicht unbedingt erwarten würde:

- zu viele, zu schnell aneinander gereihte Fragen, die der Autist gestellt bekommt
- Gefühle, die den Autisten überfordern

Warum sind gerade autistische Menschen so anfällig für Reizüberflutungen? Autisten haben eine Reizfilterschwäche. Das autistische Gehirn ist so aufgebaut, dass so ziemliche alle Reize in ähnlicher Intensität aufgenommen werden, wie ein Schwamm. Wichtige Reize können nicht so gut von unwichtigen Reizen gefiltert werden. Ein Beispiel: Mensch geht zum Eishockey. Neurotyp nimmt Stimmen, die Musik, die Wärme der Jacke, die Trommelschläge und vielleicht die Kälte der Halle wahr. Der Autist spürt höchstwahrscheinlich all das, hört aber gleichzeitig noch die Schritte der Mitmenschen, den Puck der an die Bande schlägt, ...) Das Problem ist nur, dass der Neurotyp das relativ gut ausblenden kann, weil er sich z. B. auf das Spiel konzentriert und nur das wahrnimmt, was gerade wichtig für ihn ist, während der autistische Mensch das einfach sehr schlecht schafft. 

Wie fühlt sich so ein Overload an? 

Ehrlich gesagt ein bisschen wie Keule auf den Kopf. Ich versuch das mal mit einem selbst erlebten Beispiel zu verdeutlichen. Die heftigste Reizüberflutung hatte ich mal, nachdem ich in einer total schönen, sehr kleinen, aber vollgestopften Buchhandlung war. Grundsätzlich wurde ich schon mal von dem großen Angebot auf engstem Raum erschlagen. Ich wusste nicht, wo soll ich zuerst hingucken, wofür interessiere ich mich, warum bin ich eigentlich hier (also was war das eigentliche was ich mir kaufen wollte). Die Ladentür stand offen, draußen fuhren Autos vorbei, die Kassiererin hat sich mit einer anderen Kundin unterhalten, es war sehr warm (weil Sommer), immer wenn jemand neues den Laden betreten hat, läutete eines dieser klassischen Türglöckchen. Und als Krönung kam noch dazu, dass ich dann irgendwann zwei Produkte in der engeren Auswahl hatte, aber was nehme ich denn da jetzt? Zu den äußeren Reizen, kam quasi noch der Druck dazu: ich möchte jetzt hier raus, muss mich also entsprechend schnell entscheiden. Als ich dann aus dem Laden raus bin, war die Reizüberflutung durch die Hitze, den Autoverkehr und die ultrahelle Sonne "perfekt". Ich hatte:

-  heftige Kopfschmerzen

- war in gewisser Weise völlig planlos (wenn ich heftig überflutet bin, kann ich nicht mal vernünftig eine Straße überqueren) 

- hab mich total geblendet gefühlt durch die Sonne, was vorher ging
- ich war komplett gestresst und überfordert 
- hatte ein Gefühl das irgendwo zwischen Wut und Verzweiflung lag

Das würde ich sagen, sind so die Hauptmerkmale einer Reizüberflutung. Um zu wissen, ob man es dem Menschen anmerkt, müsste ich meine Freundin bitten, mir ihre Sicht darauf zu schildern. Das werde ich auch noch machen. 

Was hilft gegen die Reizüberflutung, was können Freunde/Angehörige tun?

Das was ich gemacht habe, sah zwar möglicherweise ein bisschen irre aus, ist aber so ziemlich das einzige was hilft: ich habe in der Buchhandlung eine Stempelkarte bekommen (für eine Art Treuepunkte-System). Diese habe ich mir vor die Augen gehalten (Augen vor der Sonne schützen), die Ohren zugehalten und geschaukelt (Selbststimulation - Beruhigung). Und das ist auch das, was ich jedem Begleiter empfehlen würde, der mitbekommt, dass die autistische Person eine Reizüberflutung hat: 

- Selbststimulation (vor und zurückwippen mit dem Oberkörper, stupides aufsagen von immer denselben Sätzen, Bewegungen mit den Händen, etc.) zulassen und ggf. unterstützen

Durch das sogenannte Stimming (kommt noch in einem gesonderten Blogeintrag) kann die autistische Person sich auf einen einzigen Reiz konzentrieren, weil es eine unglaublich beruhigende Wirkung auf sie hat. Dadurch kann sie die Situation leichter aushalten. An die Autisten unter euch: macht es! Auch wenn es vielleicht komisch aussehen mag, aber es ist niemandem geholfen, wenn ihr durch "zusammenreißen" dann in einen Meltdown/Shutdown rutscht, weil nichts mehr geht. 

- Reize eindämmen (z. B. Sonnenbrille, Kopfhörer, Decke über den Kopf wenn man zu Hause ist)

- die Führung übernehmen (Autisten mit einer heftigen Reizüberflutung können nicht mehr klar denken, sie sind irgendwie nur noch ihre Hülle und wissen nicht mehr was sie tun sollen, weil die Reize irgendwie wie eine Welle überschwappen. Wenn ihr sagt, was als nächstes zu tun ist, kann sie euch folgen und muss sich nicht auch noch damit beschäftigen, was jetzt zu tun ist, um aus der Situation rauszukommen)

- Rückzug organisieren (den Autisten an einen Ort bringen, wo weniger Reize sind) 

Wichtiger Tipp: vermeidet wenn möglich Berührungen und sprecht so wenig wie irgendwie möglich auf den autistischen Menschen ein, wenn er schon im Overload ist. Verwendet kurze und knappe Aufforderungen, besser Stichpunkte statt Wörter. z. B. "Steig ein!"/"Bleib stehen."/"Hier rechts." So was wie "Achtung, die Ampel ist rot, bleib lieber stehen" ist in dem Zustand schon zu viel. 

Was kann man tun, damit es nicht zur Reizüberflutung kommt?

Vorsicht ist immer besser als Nachsicht, darum sollte man immer versuchen vorzubeugen, damit es gar nicht erst dazu kommt. Denn dann ist es für alle Beteiligten natürlich deutlich angenehmer Zeit miteinander zu verbringen. Was kann man also tun? 

- von vorn herein Reize eindämmen (bei größeren Veranstaltungen trag ich immer Schaumstoffohrenstöpsel um weniger, bzw. angenehm leise zu hören)

- nach Möglichkeit wenig Ironie/Sarkasmus verwenden, die den Autisten irritieren können
- mit Folgefragen in einem Gespräch warten, bis der Autist auf die vorherige Frage reagiert hat
- mehrere Pausen einplanen, in denen sich der Autist zurückziehen kann um den Reizen zu entkommen
- nur ein reizintensives Erlebnis pro Tag planen

- irritierende Gefühle möglichst zeitnah besprechen und klären, damit sie nicht zu viel Stauraum im Gehirn einnehmen und von der restlichen Reizverarbeitung ablenken

Beim nächsten Mal wird es um den Meltdown gehen, der durch den Overload entstehen kann. Habt einen schönen Tag!

Anne

Kommentare