Autismus und Konzerte - Tipps für einen angenehmen Konzertbesuch

 Hallo ihr Lieben,

willkommen zurück. Könnt ihr euch noch an euer letztes Konzert erinnern? Ja, ich gebe zu, es ist durch Corona sicher schon etwas länger her, aber das Gefühl ist doch bestimmt noch in euch verankert. Schließt mal die Augen, ihr könnt es garantiert wachkitzeln...

Ich mach gleich mal mit: mein letztes Konzert war Silbermond in der Arena Leipzig. Es war fantastisch, ich hatte eine liebe Begleitung (meine Freundin), die Musik war prima, es ging einigermaßen pünktlich los und es war aus autistischer Sicht (okay, zumindest für mich) absolut perfekt. Aufgrund der aber meist vorhandenen Bedingungen trauen sich höchstwahrscheinlich viele autistische Menschen eher doch nicht, Konzerte zu besuchen. Dieser Beitrag wird heute eher eine Sammlung an Tipps für autistische Menschen, die vielleicht noch zweifeln, ob sie sich wirklich auf ein Konzert wagen sollten.

1. Sucht euch einen Platz am Rand! / Abgegrenzte Bereiche

In der Regel sind Konzerthallen oder Flächen auf denen Konzerte stattfinden rappelvoll mit Menschen. Das ist logisch, immerhin wollen so viele wie möglich ihren Lieblingskünstler sehen und es macht ihnen vermutlich auch Spaß, gemeinsam in der Menge die Lieder mitzusingen und abzutanzen. Für Menschen im Autismus-Spektrum sind Menschenmassen dagegen meistens extrem anstrengend und schwierig zu bewältigen. Das schreckt die meisten Autisten schon ab, wenn sie darüber nachdenken ein Konzert zu besuchen. Das muss nicht sein! Bei Silbermond haben uns meine Freundin und ich einen Platz am Rand gesucht. Wir haben seitlich auf die Bühne geschaut und waren nicht hundertprozentig in der ersten Reihe - aber wir hatten PLATZ! Platz ohne Ende, während sich im hinteren Teil der Arena die Menschen fast gestapelt haben. Sie hatten möglicherweise eine bessere Sicht oder einen Hauch bessere Akkustik, aber wir hatten locker eine 5 * 3 m freie Fläche fast für uns alleine! Eine unglaubliche Erleichterung für mich! Wenn es euch hauptsächlich um die Musik geht, sucht euch doch wirklich einen Platz am Rand. Es werden dort unter Garantie deutlich weniger Menschen sein! Egal bei welchem Konzert. 

Liebe Veranstalter, schaut doch mal, ob ihr nicht einen kleineren Bereich abgrenzen könntet für Menschen, die Behinderungen oder sonstige Einschränkungen haben. Ich weiß, dass es bei Festivals teilweise einen extra Bereich für Rollstühle gibt, wo Rollifahrer fernab von den ganzen Massen in Ruhe die Konzerte anschauen können. Grund dafür ist, dass sie natürlich schlechter sehen, weil sie im Rolli kleiner sind als die Menschen vor ihnen. Es muss doch gehen, das auch für andere Menschen mit Einschränkungen möglich zu machen. Das muss nicht viel Platz sein, aber vielleicht 10 x 5 m am Rand? Das tut bestimmt keinem weh und ich bin sicher, das viele sogar extra dafür bezahlen würden!

2. Gönnt euch zwischendurch Pausen!

Aufgrund der Lautstärke, der Menschen und des eventuell unbekannten Ortes kann es zu Reizüberflutungen kommen. Ich ermuntere euch, rechtzeitig rauszugehen, noch bevor die Lage ernst wird. Wenn ihr ohnehin schon am Rand steht, weil ihr Tipp 1 befolgt habt, stellt euch doch gleich in die Nähe vom Ausgang. Ja, ihr verpasst vielleicht ein paar Lieder, aber das ist doch alle mal besser, als wenn ihr mit einem Overload aus dem Konzert raus geht. In aller Regel ist es schon viel angenehmer, wenn ihr hinter der verschlossenen Tür steht und wenn ihr euch für die Toilette als Rückzugsort entscheidet, könnt ihr euch gleich ein bisschen erfrischen am Waschbecken. Lieber mehrmals kurz rausgehen, als nach 20 min komplett abbrechen zu müssen. :-)

3. Zieht weniger an, als ihr es eigentlich tun würdet!

In Konzerthallen ist es in der Regel wahnsinnig warm. Einerseits wegen den vielen Menschen, andererseits weil man durch die Bewegung natürlich auch etwas schwitzt. Daher ein heißer Tipp an euch: wenn ihr auf ein Konzert geht und es ist meinetwegen Winter, zieht euch eine dicke Jacke an, aber darunter ein T-Shirt statt eines Pullovers. Die Jacke könnt ihr an der Garderobe abgeben und dann genügt das T-Shirt in der Halle in der Regel vollkommen! Wärme kann ebenfalls zu Reizüberflutung führen, nutzt doch die Chance, das Risiko wenigstens dadurch zu minimieren. :-) Im T-Shirt lässt es sich in der Regel deutlich besser aushalten, als im Pullover. Das empfehle ich übrigens auch nicht-autistischen Konzertgängern.

4. Nehmt Stimmingspielzeug mit!

Ein Konzert ist immer eine extrem aufregende Sache. Fremde Umgebung, viele Reize, man weiß nicht hundertprozentig was einen erwartet, viele Menschen, ...  Wenn ihr ein Mensch seid, der schlecht mit Aufregung umgehen kann, empfehle ich euch, packt euch ein oder zwei eurer Lieblings-Stimmingspielzeuge ein. Ihr sollt euch jetzt um Gottes Willen nicht die Tasche vollknallen mit Gegenständen, aber vielleicht hilft es euch ja, wenn ihr z. B. einen kleinen Fidget-Cube oder Fidget-Spinner dabei habt, den ihr unauffällig während des Konzerts benutzen könnt. Das stört niemanden, weil die meisten auf das Konzert fokussiert sein werden, aber bei euch kann es Stress abbauen, weil ihr euch wenn es ein bisschen anstrengend wird oder ihr euch gerade außerhalb der Halle erholt, genau darauf fokussieren könnt und so die Ausblendung der Reize ein bisschen leichter fällt. Natürlich gehen auch alle anderen Stimmingspielzeuge, aber die zwei sind mir gerade als erstes eingefallen. 

5. Nutzt Kopfhörer und Sonnenbrille wenn euch die Reize zu krass werden!

Ich selber nutze bei Konzerten in der Regel Ohrenstöpsel, die man z. B. auf dem Bau als Gehörschutz verwendet, die gibt es aber auch in der Drogerie, sie sind aus Schaumstoff und man kann sie eigentlich prima in die Tasche packen und bei Bedarf benutzen. Durch die Schaumstoffohrenstöpsel nimmt man immer noch genug vom Konzert wahr, es ist nur deutlich weniger anstrengend, weil es eine Menge der Geräusche abdämpft. Ich benutze sie auch beim Eishockey. Manchen Autisten wird das aber vielleicht nicht reichen. Nehmt euch doch Kopfhörer mit, also Over-Ear-Kopfhörer oder Noise-Cancelling-Kopfhörer. Ihr hört immer noch genug, versprochen! Es ist aber bei weitem nicht mehr so laut wie ohne. Manche kommen vielleicht auch mit den Lichteffekten nicht so gut klar, hier helfen stinknormale Sonnenbrillen. 

6. Geht nicht alleine auf ein Konzert!

Und zum Schluss der wichtigste Tipp: nehmt euch eine Begleitung mit! Wenn ihr auf ein richtig großes Konzert gehen wollt, lege ich euch wärmstens ans Herz eine Person mitzunehmen, der ihr blind vertraut und die mit eurem Autismus umgehen kann. Außenstehende Menschen haben manchmal einen besseren Blick darauf, wann eine Pause angebracht wäre oder können einem im Notfall helfen, wenn ihr doch eine Reizüberflutung bekommt. Denn nichtautistische Menschen schaffen es immer noch ein bisschen besser in Menschenmengen den Überblick zu bewahren. Besprecht vorher unbedingt, was ihr im Falle einer Reizüberflutung an Hilfe benötigt bzw. was euch hilft oder was sie auf keinen Fall mit euch machen sollten. Außerdem, wenn sie euch noch nicht so lange kennt, woran sie eine Reizüberflutung bei euch erkennen kann. Dann seit ihr auf jeden Fall auf der sicheren Seite. 

Und noch ein heißer Tipp: schließt euch am Ende des Konzertes nicht der riesigen Meute an, die die Halle verlassen, sondern bleibt erst mal ganz entspannt dort wo ihr seid. Die anderen finden den Weg auch ohne euch raus, aber ihr müsst euch nicht durchquetschen. Wenn ihr ungefähr 10 min wartet. hat sich die größte Menschentraube bereits aufgelöst. Nehmt euch alle Zeit die ihr braucht, die schließen die Halle nicht, wenn ihr noch drin seid. :-)

Ich hoffe ich konnte musikliebenden autistischen Menschen, die ein bisschen unsicher waren, ob sie sich ein Konzert zutrauen können, ein bisschen Mut machen. Probiert es doch einfach mal aus! Wenn es überhaupt nicht funktioniert, könnt ihr immer noch nach Hause gehen, aber dann habt ihr eine megaspannende Erfahrung gemacht. :-) Habt einen schönen Tag!

Anne


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