"Bist du wie Rainman?" - Autismus, was ist das überhaupt

Willkommen zurück ihr Lieben,

im 1. Beitrag habt ihr erfahren, wer sich angesprochen fühlen soll (ALLE!) und wer hier vor dem Rechner sitzt.

Was ist das Erste, an das ihr denkt, wenn ihr den Begriff Autismus hört? 
  • "Autisten leben in ihrer eigenen Welt."
  • "Autisten sind hochbegabt und haben eine richtig krasse Begabung."
  • "Autisten brauchen von früh bis spät Betreuung und können nichts alleine."
  • "Autisten haben keine Gefühle." 
  • ...
War einer der Thesen darunter? Ganz wertfrei: es würde mich nicht wundern. Selbst wenn ihr schon etwas mehr über Autismus wisst, gibt es dennoch ein gewisses Bild, was sich hartnäckig in den Köpfen der Menschen hält, und diese Thesen sind mit Abstand die bekanntesten davon. Als Einstieg für diesen Blog, möchte ich heute ein bisschen darüber aufklären, was Autismus ist und was er eben nicht ist. 

Was ist Autismus?

Rein fachlich: Autismus ist eine Entwicklungsstörung, die sich auf die Kommunikation, Wahrnehmung und die Interaktion mit anderen Menschen auswirkt. Sagt zunächst erst mal alles und nichts aus, darum wird es jetzt etwas intensiver. Ich finde den Begriff Störung schwierig, ich würde es eher als "anderes Betriebssystem bezeichnen". Also so wie Ios und Android. Grundsätzlich werden beide Betriebssysteme dafür verwendet, um Handys oder Tablets zum laufen zu bringen, sie arbeiten aber unterschiedlich. Die Gehirne von Menschen mit Autismus arbeiten anders als die von nichtautistischen Personen. 

Zum Beispiel beim verarbeiten von Informationen, Geräuschen, Gerüchen, Geschmack (im folgenden: Reize). Nichtautistische Menschen (im folgenden: Neurotypen genannt) filtern in der Regel automatisch die Reize heraus, die sie gerade für wichtig erachten, Autisten nehmen dagegen fast alles gleichzeitig wahr. Ein Beispiel: Eine Person sitzt mit einem anderen Gesprächspartner in einer Bahn. Der Neurotyp nimmt grundsätzlich erst mal hauptsächlich sein Gegenüber wahr und vielleicht ein bisschen das Fahrgeräusch. Alles andere wird ausgeblendet, weil nicht relevant. Der Autist hört sein Gesprächspartner, die Durchsagen, spürt das Ruckeln der Bahn, hört das Fahrgeräusch, spürt, dass ggf. sein Pullover kratzt... So richtig gut Reize filtern, kann ich z. B. nur, wenn ich mich mit etwas beschäftige, was mich richtig krass interessiert oder beim Musik hören. 

Außerdem unterscheiden sich die Gehirne in der Kommunikationsweise. Neurotypen unterhalten sich häufig im Smalltalk, verwenden Ironie, Sarkasmus, verwenden sprachliche Bilder (z.B. Sprichwörter). Autisten sagt man dagegen nach, dass sie Sprache überwiegend wortwörtlich aufnehmen, was dazu führt, dass manche Autisten Sprichwörter, Ironie, etc. nicht verstehen, das führt zu Missverständnissen. Was aber definitiv nicht bedeutet, dass kein Autist Ironie verwendet, ich zum Beispiel tue das sehr gern und verstehe auch das eine oder andere Sprichwort, der Mehrzahl fällt es aber schwer. Autisten bevorzugen die sachliche Kommunikation, also sprechen nur über die Dinge, die sie wirklich interessieren. Autistische Personen verwenden in der Regel auch eher weniger Mimik und Gestik und können es auch bei ihrem Gegenüber nicht besonders gut erkennen. 

Leben Autisten in ihrer eigenen Welt?

Nein. So richtig weiß ich auch nicht, wie Menschen auf diese Aussage kommen. Ich vermute, dass man auf diesen Gedanken kommen könnte, wenn sich der Autist zum Beispiel mit seinem Spezialinteresse (ein oder mehrere Themengebiete, mit denen sich ein Autist intensiv beschäftigt und alle möglichen Informationen darüber aufsaugt) beschäftigt und darin vollkommen versinkt und ggf. eine Zeit lang nur über DIESES EINE Thema spricht, ohne dass er sich auf etwas anderes einlassen kann. Oder wenn eine autistische Person aufgrund von Reizüberflutung in einen Shutdown kommt (späterer Beitrag) und nicht ansprechbar wirkt. Oder aber wegen der veränderten Kommunikationsweise, die Autisten haben, weil sie z. B. Körpersprache nicht so gut deuten können. Grundsätzlich kann ich dazu nur sagen: wir haben vielleicht speziellere Interessen und haben Schwierigkeiten die Verhaltensweisen von Neurotypen zu deuten, aber wir leben auf dem gleichen Planeten wie alle und sind genauso ansprechbar und nicht ansprechbar wie alle anderen auch. 

Haben Autisten eine Inselbegabung? 

Jein. Es gibt eine besonders seltene Autismusform: Savant. Diese geht tatsächlich mit Inselbegabungen einher. Den bekannten RainMan kennt vermutlich jeder, es ist davon auszugehen, dass er ein Savant war. Diese Form ist aber verdammt selten. Es ist genauso wenig der Fall, dass alle Autisten Zahlen lieben und besonders gut in Mathe sind (ich hatte zu Beispiel in Mathe immer eine 3.). Wir haben Spezialinteressen, also Interessen die ggf. für manche Menschen eher uninteressant sind, aber grundsätzlich könnten sich auch Neurotypen mit diesen Themengebieten auseinandersetzen und dafür brennen. Die meisten Autisten sind relativ normal begabt. 

Autisten haben eine geistige Behinderung und brauchen intensive Betreuung.

Wieder - jein. Autismus ist eine Spektrumsstörung. Es gibt nicht den einen Autisten, sondern verschiedenste Abstufungen, wie stark derjenige betroffen ist. Früher wurde eine Einteilung vorgenommen, in Frühkindlichen Autismus (auch Kanner-Autismus genannt), Asperger-Syndrom, Atypischer Autismus, etc. Inzwischen sieht man aber davon ab, es wird nun von der sogenannten Autismus-Spektrumsstörung gesprochen. Frühkindliche Autisten sind tatsächlich häufig kognitiv eingeschränkt und brauchen in vielerlei Hinsicht Hilfe, weil sie durch den Autismus tatsächlich stark eingeschränkt sind. Meistens liegt bei ihnen auch eine geistige Behinderung vor. Menschen mit dem Asperger Syndrom dagegen sind relativ selbstständig und leben recht "normal". Sie haben so gut gelernt, sich anzupassen an die neurotypische Welt, dass man ihnen zum Teil gar nicht anmerkt, dass sie überhaupt Autismus haben. Das bemerkt man erst, wenn man die Personen näher kennenlernt. 

Haben Autisten Gefühle?

Ganz klar: ja. Wir empfinden genauso Glück, Traurigkeit, Wut, Angst, etc. und nehmen das auch durchaus bei unseren Mitmenschen wahr. Es ist nur schwierig adäquat darauf zu reagieren, weil es autistischen Menschen schwer fällt, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen. Also einerseits ist es kompliziert für uns, Mimik zu erkennen. Also ich erkenne schon: guckt fröhlich, traurig, wütend. Aber so Abstufungen wie Ekel, Angst oder so, sind nicht so leicht erkennbar. Und dann wäre ja noch die Frage: Warum weint die Person? Warum jubelt sie? Was hat sie verärgert? Und wenn man das herausgefunden hat - was erwartet die Person von einem, wie man reagiert? Was könnte ihr helfen? Autisten trösten zum Beispiel auf ihre eigene Art und Weise. Ich reagiere meistens mit Sachlichkeit. Zum Beispiel: Das Fahrrad eines Freundes ist geklaut worden. Neurotypen würden vermutlich denjenigen umarmen und über die Gefühle sprechen. Autisten würden eher pragmatisch an die Sache rangehen und zum Beispiel vorschlagen, mal in der Nachbarschaft zu schauen, ob man das Fahrrad irgendwo entdeckt, während das bei Neurotypen vermutlich erst als zweiter oder dritter Punkt kommen würde. Auch bei sich selbst die Gefühle zu erkennen, ist für Autisten meist nicht ganz leicht. Es ist tendenziell eher: ich fühle mich gut, oder schlecht. Aber welches Gefühl ist gerade konkret aktiv? 

Ein wichtiger Satz, den ich für besonders wichtig erachte: "Kennst du einen Autisten... - kennst du genau EINEN Autisten." Was auf mich zutrifft, kann bei anderen autistischen Personen schon ganz anders aussehen. Es gibt nicht DEN Autisten, genau wie auch jeder andere Mensch seinen ganz individuellen Charakter mit seinen Stärken und Schwächen hat, sind auch Autisten individuell, auch was das Störungsbild anbelangt - darum ist es ja auch eine Spektrumsstörung. 

In diesem Sinne wünsche ich euch eine gute Nacht!

Anne

Kommentare

  1. Anne , ich kenne sehr gut eine Autisten und ich kenne einen genau!Mein persoenlicher Autist ist wie die meisten von uns - Staerken und Schwaechen - aber in diesem Fall viel mehr Staerken als Schwaechen. Ich weis auch gar nicht weshalb irgend jemand der Meinung ist das Autisten etwas anderes sind als die Allgemeinheit.

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