Autismus in Filmen - Etienne/"Ploppi" (Lucas Reiber) in Fack Ju Göhte 2

Hallo ihr Lieben,

willkommen zurück. Habt ihr euch schon mal gefragt, wie realistisch autistische Menschen in Filmen dargestellt werden? Das ist tatsächlich eine sehr gute Frage, denn zugunsten der Einfachheit werden Autisten in der Regel von Neurotypen gespielt. Heute fange ich mal mit Etienne aus Fack Ju Göthe an. Er wird von dem Schauspieler Lucas Reiber dargestellt, sein Spitzname ist Ploppi. Ploppi wird als Asperger-Autist dargestellt. 

Wie realistisch ist er dargestellt?
  • Unbehagen bei Berührungen
Grundsätzlich gehört es zur Autismus-Spektrumsstörung, dass sich diese Menschen nicht gern berühren lassen. Bei Etienne fällt das sehr stark aus. Ich bin etwas vorsichtig mit der Aussage, ob es nicht ein bisschen übertrieben dargestellt ist, gerade im Bereich des Frühkindlichen Autismus könnte es durchaus zu solchen Reaktionen kommen (sofortige Schutzreaktion - Arme um den Körper schlingen, ausweichen, Schreckgeräusch), bei Asperger-Autisten eher nicht so stark. Aber grundsätzlich ist es realistisch.
  • Angst vor Veränderungen
Ploppi möchte nicht mit auf Klassenfahrt fahren, ich vermute dass es nicht nur daran liegt, dass Danger und Chantalle ihn immer wieder provozieren, sondern hauptsächlich vermutlich, weil er dafür seine gewohnte Umgebung verlassen muss. Ist ebenfalls durchaus realistisch. Ich verreise zum Beispiel auch überhaupt nicht gerne. 
  • sein extremes Interesse an Herr der Ringe 
Ja, das ist definitiv realistisch. Es ist davon auszugehen, dass es sich dabei um sein Spezialinteresse handelt. Darum wundert es mich eigentlich auch nicht unbedingt, dass er "elbisch" sprechen kann, das gehört natürlich dazu. Er nutzt den Sprachkurs vermutlich besonders in Situationen, wo er sich beruhigen muss.
  • sein enormes Hygienebedürfnis 
Etienne kocht zum Beispiel sein Wasser ab und vakuumiert seine Kleidung. Außerdem bemängelt er, dass Wasser an seine Kleidung gekommen ist, diese müsse ersetzt werden. Das spricht ehrlich gesagt in dieser Form nicht unbedingt für Autismus, eher für Zwangsstörungen. 
  •  sein "ploppen" 
Ja, ist ein autismustypisches Verhalten. Ich würde es als Stimming einordnen. Stimming ist eine Möglichkeit um sich selbst zu beruhigen, sich zu konzentrieren, etc. Auch nicht-autistische Menschen nutzen Stimming - z. B. wenn sie mehrmals hintereinander mit dem Kuli klicken oder beim telefonieren malen. Autisten nutzen dafür bisweilen etwas speziellere Verhaltensweisen, wie zum Beispiel schaukeln, mit den Armen wedeln oder wie Etienne verschiedenste Lautäußerungen. 

Kritikpunkte an der Darstellung:

Ich fange mit dem kleinsten Punkt an: "Ich hab Asperger - 11 %!" Ähm, nein. Entweder man hat Asperger (Autismus) oder man hat ihn nicht. Es gibt kein "zu so und so viel Prozent Autist". Was ich mir vorstellen könnte, dass er meint, dass er nicht so schwer autistisch ist, wie zum Beispiel ein frühkindlicher Autist. Aber Sinn macht es nicht, denn 11 % würde sich ja eher am Anfang des Spektrums bewegen, also für leichten Autismus sprechen - dafür verhält er sich aber schon ziemlich autistisch. Die Aussage könnte einige Menschen verwirren. 

Weiterhin finde ich problematisch, dass sie ihn aus dem Wasser ziehen und er dadurch lernt, Berührungen besser zu tolerieren. Das könnte den Eindruck erwecken, Autismus lässt sich prima behandeln und ist damit getan, den Betroffenen nur oft genug zu umarmen, damit er es lernt. Ja, ein Autist kann lernen, Berührungen zu dulden. Es ist aber die Frage, ob das unbedingt empfehlenswert ist. Für einige Autisten ist Körperkontakt wirklich sehr sehr unangenehm. Das liegt an der veränderten Reizwahrnehmung. Gleichzeitig ist es nicht angenehm, weil der andere in den persönlichen Wohlfühlraum gelangt. Den haben ja auch neurotypische Menschen. Das ist aber von Autist zu Autist unterschiedlich, manche können es gar nicht aushalten, andere mögen nur feste Berührungen, andere werden gerne gekrault. Das kann man nicht verallgemeinern. Grundsätzlich finde ich so eine Aktion ungünstig. Wenn jemand Berührungen so sehr hasst, wie es Etienne tut, sollte man davon absehen, weil es dann mitunter eine Qual sein kann. Wenn es denn unbedingt sein muss, wie z. B. bei Arztbesuchen, hilft auch bei schwerer autistischen Personen Vorhersehbarkeit. "Ich berühre dich jetzt am Arm und lege dir einen Verband um." Dann ist die autistische Person darauf vorbereitet und erschreckt sich wenigstens nicht, bzw. kann sich darauf einstellen. 

Fazit:

Grundsätzlich bin ich überrascht, wie realistisch die Autismus-Spektrums-Störung in Fack Ju Göhte 2 dargestellt wird. Teilweise ist es etwas übertrieben dargestellt, aber die Symptome stimmen (bisauf der übertriebene Hygienebedarf) mit der Störung überein. Lucas Reiber hat hier einen guten Job gemacht. 
Teil 3 werde ich gesondert in einem anderen Beitrag besprechen, da zwei Filmteile in einem Beitrag den Rahmen etwas sprengen würden. 

Anne

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