Autismus und Inklusion: Schule

Hallo,

vor einer ganzen Weile habe ich bereits einen Beitrag darüber geschrieben, ob AutistInnen an Regelschulen unterrichtet werden können. Für alle Eltern, die gerade vor der Entscheidung stehen, wo ihr autistisches Kind eingeschult werden soll, kann ich diesen Beitrag nur wärmstens ans Herz legen. Im Groben kann ich ihn damit zusammenfassen, dass es zwar möglich, jedoch schwierig ist, weil die notwendigen Bedingungen bisher eher rudimentär vorhanden sind. Vor kurzem habe ich mit meinem Kumpel über Inklusion gesprochen. Konkreter gesagt über die Beschulung von Kindern mit Behinderungen an Regelschulen. Meine Ansicht zu der Frage, ob Inklusion an Schulen realistisch möglich ist, war ziemlich klar: schwierig bis unmöglich (je nach Behinderung). 

Ich habe selber an einer Körperbehindertenschule meinen Realschulabschluss gemacht und bin eigentlich immer der Meinung gewesen, dass ich an einer Regelschule nicht klar gekommen wäre. Weniger wegen meinen Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen und auch nicht wegen Schwierigkeiten den Lernstoff zu verstehen (ich war immer eine ziemlich gute Schülerin), als mehr wegen meinem Autismus. Ein riesiges Problem wären die großen Klassen gewesen. Aber es gibt auch noch andere Gründe, warum ich glaube, dass es an der Regelschule schwierig geworden wäre. Außerdem arbeite ich an einer Förderschule. Ich bin also das Konzept gewohnt und konnte mir nicht, so richtig vorstellen, wie Inklusion an Schulen funktionieren soll. Bis mein Kumpel mir eine Rede von Raul Krauthausen zu diesem Thema vorgestellt hat. Ich habe euch die Rede mal beigefügt, guckt sie euch gern mal an: es lohnt sich wirklich und hat mich extrem zum umdenken bewegt.


Aber was müsste denn passieren, damit z. B. AutistInnen (ich schreibe ja nun mal einen Autismusblog) erfolgreich an Regelschulen unterrichtet werden können? Ich möchte heute ein paar Anregungen dazu geben.
  • Kleinere Klassen
Viele AutistInnen haben große Probleme mit größeren Menschenansammlungen. Unter anderem wegen der Geräuschkulisse, die durch viele Menschen entsteht, aber auch weil sie es z. B. nicht mögen, berührt zu werden. Wenn viele Menschen auf einem Haufen sind, ist es allerdings schwierig bis unmöglich, allen auszuweichen und damit Berührungen zu verhindern. Bei einer normal großen Kindergruppe von ungefähr 30 Kids, wären die meisten autistischen Kinder restlos überfordert und würden am Ende des Schultages höchstwahrscheinlich mit einer heftigen Reizüberflutung nach Hause kommen. Zusätzlich hätten sie vielleicht auch Angst in die Schule zu gehen. Von kleineren Klassen würden aber nicht nur Autisten profitieren. Auch neurotypischen Kindern würde es helfen, wenn die Lehrerin mehr Zeit für jeden einzelnen hätte und ihm zum Beispiel zum 5. Mal den Dreisatz zu erklären. Bei 30 SchülerInnen ist das einfach kaum möglich, sich auf jeden einzelnen Schüler einzulassen. Voraussetzungen dafür wären:

- es müssten mehr Lehrer eingestellt werden (schließlich müssen ja viel mehr Klassen betreut werden)

- es müssten mehr Schulen eröffnet werden (immerhin werden mehr Klassenräume als vorher gebraucht)

  • Lehrer müssten grundsätzlich zusätzlich in Sonderpädagogik ausgebildet werden
Wenn aktuell bei der Schuleingangsuntersuchung z. B. eine Sprach-/Hör-/Seh-/oder Körperbehinderung festgestellt wird, bekommt das Kind einen sogenannten "Sonderpädagogischen Förderbedarf" und wird dann auf einer Schule eingeschult, die auf diesen Förderschwerpunkt spezialisiert ist. Grund dafür ist, dass die Lehrer beim Studium "Lehramt" nicht grundsätzlich sonderpädagogische Grundsätze vermittelt bekommen. Wer an einer Förderschule arbeiten möchte, benötigt einen anderen Studiengang, nämlich Sonderpädagogik auf Lehramt. Die Lehrer an Regelschulen haben demzufolge keine spezifische Ausbildung und wissen zum Teil einfach nicht, wie sie Kinder mit Behinderungen speziell fördern können. Eine andere Alternative wäre, wenn an den Regelschulen zusätzlich Sonderpädagogen arbeiten würden, die dann die Klassenlehrer unterstützen können (falls diese keine sind) bzw. vielleicht sogar gemeinsam in der Klasse arbeiten. 

  • Es muss wesentlich leichter werden, einen Schulbegleiter zu bekommen.
Kinder mit Einschränkungen, u. a. Autismus benötigen häufig mehr Unterstützung in Schule und Alltag, als das bei "gesunden" Kindern (bitte nehmt mir diese unglückliche Bezeichnung nicht krumm, mir fällt gerade keine bessere ein) der Fall ist. In Förderschulen ist in der Regel zusätzlich zum Lehrer eine weitere pädagogische Fachkraft in der Klasse, die hilft wo "Not am Mann" ist. In Regelschulen ist der Klassenlehrer "Einzelkämpfer". Zusätzlich haben autistische Menschen häufig das Problem, dass sie mit ihren neurotypischen Mitmenschen nicht besonders gut umgehen können, es gibt häufig Missverständnisse bzw. Konflikte, ein gemeinsames Miteinander ist ohne (zumindest gelegentliche Mehr-Unterstützung des betroffenen Kindes) schwer möglich. Bei beiden Problemen könnte ein Schulbegleiter Abhilfe schaffen. 

In diesem Fall würde wie üblich der Lehrer (sei es nun Sonderpädagoge oder nicht) den Unterricht halten, zusätzlich haben aber die Kinder die zusätzliche Unterstützung benötigen, eine pädagogische Fachkraft direkt neben ihnen sitzen, die ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht. Diese kann zum Beispiel bei der Aufklärung der Klassenkameraden und Lehrkräfte zum Thema Autismus unterstützen und bei Konflikten behilflich sein. Außerdem sorgt ein Schulbegleiter dafür, dass Kind die Bedingungen vorfindet, die es zum lernen benötigt. Unterstützt, wenn das Kind Schwierigkeiten hat, sich zu konzentrieren, etc. 

Es soll definitiv nicht dazu kommen, dass dann jedes Kind, was kleinere Baustellen hat, eine ganz persönliche 1:1 Betreuung hat, das meine ich gar nicht. Das wäre tatsächlich auch kontraproduktiv. Es geht nur darum, dass die Kinder, die ohne zusätzliche Unterstützung nicht zurecht kommen würden, ihre Hilfe bekommen, damit sie erfolgreich lernen können.

  • Rückzugsräume in den Schulen
Gerade wenn sehr viele Kinder auf einem Haufen sind, kann es schnell extrem laut und chaotisch werden, selbst wenn es jetzt kleinere Klassen gäbe. Das Risiko einer Reizüberflutung ist da natürlich hoch. Es wäre immens wichtig, dass Rückzugsräume existieren, in die sich die Kinder, die eine Auszeit benötigen, im Bedarfsfall jederzeit zurückziehen könnten. Der müsste dann logischerweise auch für die nichtbehinderten Kinder zur Verfügung stehen. Gleiches Recht für alle. Im Moment gibt es solche Räume an Regelschulen nämlich tatsächlich nicht. Das einzige was es an den meisten Schulen gibt, ist ein Krankenzimmer mit einer Liege, falls wirklich mal etwas ist, aber möchte man sich dort entspannen, wenn man gerade überreizt ist? Ich glaube nicht. Natürlich müssen gemeinsam mit allen Kindern Regeln abgesprochen werden. Wann darf der Raum benutzt werden? Nur in der Pause oder im Notfall auch im Unterricht? Wenn im Unterricht - wann muss der Inhalt nachgeholt werden? Wie hat man sich in diesem Raum zu verhalten, etc. 

  • Mehr strukturierende, visualisierende Hilfen 
Da die meisten neurotypischen Kinder wenig, bis keine strukturierende bzw. visualisierende Hilfen benötigen, sind die meisten Pädagogen an Regelschulen nicht unbedingt darin geschult, Abläufe zu visualisieren und den Kindern eine bessere Struktur anzubieten. Das Problem könnte allerdings ziemlich leicht aus der Welt geschafft werden, dafür benötigen die Lehrer noch nicht einmal eine sonderpädagogische Zusatzausbildung. Es würde vollkommen genügen, wenn zum Beispiel eine Autismustherapeutin/Psychologin oder Ergotherapeutin einmal oder mehrmals mit in den Unterricht kommen würde und sich anschauen würde, was das Kind an zusätzlicher Struktur benötigen würde und kann den Lehrer anschließend beraten, wie er das z. B. anhand des TEACCH-Ansatzes umsetzen könnte. Wenn der Pädagoge einmal verstanden hat, wie der TEACCH-Ansatz funktioniert, kann er das auch für andere Situationen und auf andere Schüler anpassen. Eine andere Variante wäre, den Raum gleich nach diesem Ansatz zu gestalten und nur bei zusätzlich benötigter Hilfe weitere Anpassungen vornehmen. Ich bin mir nämlich sicher, dass das auch chaotischen neurotypischen Kindern helfen könnte. 

Fazit 

Aktuell haben wir in den meisten Regelschulen noch keine guten Voraussetzungen, damit die Inklusion ernsthaft gelingen könnte. Aber wenn diese vier Punkte erfüllt wären, wäre das schon einmal ein richtig großer Schritt in die richtige Richtung und würde bereits vielen leicht-autistischen Kindern einen Schulbesuch an der Regelschule ermöglichen. Für schwerer autistische Kinder wären sehr wahrscheinlich noch weitere Anpassungen erforderlich und für körperbehinderte Schüler sowieso. Aber das ist dann wieder ein anderes Thema. 

Habt einen schönen Tag!
Anne

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