Autismus und Schule: Pausen

Guten Tag,

heute geht es mal wieder um die Schule, genauer genommen um die Pausen. Für viele Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung sind diese nämlich der anstrengendste Part am ganzen Schultag. Warum das denn? Pausen sollen doch zur Entspannung dienen... Nun, dafür gibt es mehrere Gründe:
  • In Pausen ist es wesentlich lauter als im Unterricht. 
Während des Unterrichts sorgt der Lehrer dafür, dass eine Maximallautstärke nicht überschritten wird, damit alle konzentriert dem Unterricht folgen können. In der Pause ist das den Lehrkräften dagegen weniger wichtig, weil die Schüler von dem leise sein erholen soll. Für Autisten sind aber gerade viele Geräusche und ein hoher "Lärmpegel" dafür, dass ihr innerer Akku massiv leer gesaugt wird. 
  • Es handelt sich dabei um unstrukturierte Zeit.
Was soll man während der Pause machen? Im Unterricht ist es ja klar - der Lehrer gibt Anweisungen und die befolgt der Schüler im Idealfall. Die Pausen dagegen sind in aller Regel bewusst lockerer gehalten, weil sie ja der Entspannung dienen soll. Menschen im Autismus-Spektrum fällt es häufig sehr schwer freie Zeit selbst sinnvoll zu füllen. Sie wissen in diesen Momenten nicht wohin mit sich, bzw. langweilen sie sich möglicherweise, weil sie einfach im Klassenzimmer oder auf dem Pausenhof starr rumstehen/sitzen und warten, dass die Pause endlich vorbei ist, was natürlich nicht gerade entspannend ist.
  • Sie sind durch die Masse an sozialen Interaktionen überfordert
Während es in den Unterrichtszeiten in der Regel um fachliche Dinge geht, verspüren die meisten neurotypischen Kinder in den Pausen keine besondere Lust, sich über den Unterricht zu unterhalten. Aber worüber dann? Und warum verhalten sich Moritz und Laura so komisch und liegen sich die ganze Zeit im Arm? Meint Benny das Ernst, wenn er die Überlegung anstellt, ob Frau Müller im Lotto gewonnen hat wegen der teuren Tasche? Aber dann wäre sie doch nicht mehr in der Schule, sondern würde frei machen. Ihr versteht was ich meine, oder? 

Das sind die Gründe, die mir spontan einfallen, warum autistische Kinder die Pausen nicht mögen. Ich selber fand sie auch nicht so toll. Ich wusste immer nicht so richtig, was ich machen soll. Also bin ich mit meinen Freunden Runden auf der Laufbahn gedreht (gehend selbstverständlich, Sport ist Mord) oder habe mich zu meinen Lieblingslehrern gestellt und hab z. B. physikalische Fragen gestellt, von denen ich gedacht habe, dass die mein Physiklehrer nie beantworten könnte, weil sie so derb an den Haaren herbei gezogen waren. (Spoiler: doch, konnte er. Mit purer Ernsthaftigkeit hat er versucht, selbst die irrsten Fragen nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten. Ich mochte Physik nie (bin kein Mathefan und Physik hat ja nun mal leider arg viel mit Zahlen zu tun), aber wenn unser Physiklehrer Aufsicht hatte, standen immer eine ganze Traube aus Schülern bei ihm, weil es einfach Spaß gemacht hat, uns mit ihm über solche Fragen zu unterhalten, für die im Unterricht meist nicht so viel Zeit war. Er konnte es einfach extrem gut erklären.) Was kann man aber machen, damit die Pausen auch für autistische Schüler angenehmer werden? 
  • Ruhigeren Aufenthaltsort für die Pausen ermöglichen
Um ihren inneren Akku auffüllen und sich vom Unterricht entspannen zu können, brauchen viele Autisten vor allem Ruhe und die ist nun mal auf dem wuseligen Pausenhof nicht gegeben. Ich weiß, dass es für die Lehrer aufgrund der Aufsichtspflicht schwierig, wenn sich unterschiedliche Schüler an vielen verschiedenen Stellen aufhalten. Aber vielleicht besteht ja trotzdem die Möglichkeit zu schauen, ob der Schüler vielleicht doch im Klassenzimmer oder in der Schülerbibliothek die Pause verbringen könnte... Vielleicht gibt es ja mehrere Kinder, die die Ruhe gut gebrauchen könnten und es würde sich lohnen, auch in der Schulbibliothek eine Aufsichtsperson hineinzusetzen... Oder vielleicht darf der autistische Schüler sich in den Schulgarten zurückziehen. Dort sind von Natur aus (witziges Wortspiel) weniger Schüler, der aufsichtsführende Lehrer hat es aber dennoch nicht so weit, um nach dem Schüler zwischendurch mal zu schauen. Sollte das alles nicht gehen, könnte man aber zumindest Ausnahmeregelungen treffen. Zum Beispiel, dass der Schüler in der Pause Musik hören darf - auch wenn MP3-Player bzw. Handys in der Schule grundsätzlich nicht erlaubt wären. 
  • Pausenkiste anlegen
Wenn das Hauptproblem die Schwierigkeit ist, sich die Freizeit sinnvoll zu gestalten, wäre vielleicht eine Pausenbox eine Möglichkeit. Dort kommen Gegenstände hinein, mit denen sich der autistische Schüler während den Pausen beschäftigen kann. Zum Beispiel der MP3-Player (so erlaubt), Rätsel, Matheaufgaben (wenn das den Schüler entspannt) oder ein interessantes Buch über das Spezialinteresse. Falls das nicht ausreicht, könnte man zusätzlich einen Time Timer und einen Pausenplan bereitstellen. Der Time Timer zeigt an, wie lange die Pause noch andauern wird und der Pausenplan gibt vor, was in der Pause getan wird. Also z. B. als allererstes auf die Toilette gehen, bei Bedarf essen und trinken, Material für nächstes Unterrichtsfach bereitlegen und dann mit Spezialinteresse beschäftigen. Erstere Anweisungen sind nicht für alle SchülerInnen im Autismus-Spektrum notwendig, einigen kann es aber helfen, weil sie sich sonst mit ihrem Spezialinteresse so stark beschäftigen, dass sie das, was wirklich wichtig ist, vergessen.

  • Aufgaben erteilen
Möglicherweise kann es auch helfen, dem autistischen Schüler eine konkrete Aufgabe zu geben. Also z. B. 5 Runden über den Schulhof laufen, oder eine bestimmte Blattsorte (Bäume gibt es ja auf jedem Schulhof) sammeln, die anschließend als Anschauungsmaterial für den Biologieunterricht benötigt werden. Oder er/sie könnte den Hausmeister beim Schulmilchverkauf unterstützen. Die Hauptsache ist, dass von "außen" eine Strukturierung vorgegeben wird, die der autistische Schüler auch als sinnvoll erachtet. So kann die Pause dann sogar Spaß machen.

  • Hilfestellung beim Schließen von Freundschaften
Soziale Interaktion in der Pause? Ist das nicht das komplette Gegenteil von dem, was ich als Erholung beschrieben habe? Jein. Auch für Kinder mit Autismus ist es wichtig, ein paar Freunde bzw. einen sehr guten Freund zu haben und diese Kontaktschließung geht nun mal am besten in der Pause. Es ist durchaus sinnvoll, in der Schule auch die soziale Interaktion des autistischen Schülers mit anderen Kindern zu fördern. Das kann man aber als pädagogische Fachkraft auch so gestalten, dass es für den autistischen Schüler angenehm ist und sogar der Entspannung dient. Hier wären noch ein paar Vorschläge wie das gehen könnte:

- Man könnte das Kind ermuntern, am Tischtennisspiel der anderen Kinder teilzunehmen. Es ist in der Interaktion mit anderen Kindern, aber das Verhalten der neurotypischen Kinder folgt einem logischen Muster. Beim Tischtennis gibt es ganz klare Regeln, nach denen sich alle zu richten haben, während bei den meisten anderen Spielen die auf dem Pausenhof so stattfinden entweder keine, oder aber für das autistische Kind nicht ersichtlichen Regeln vorhanden sind. 

- Möglicherweise findet sich noch ein zweites Kind, das z. B. Interesse an Flugzeugen hat. Dann könnte man die beiden als Team auffordern, während der Pause aus einem Buch verschiedene Flugzeugtypen herauszufinden. Oder man stellt den Kindern ein Mobiltelefon zur Verfügung und trägt ihnen auf herauszufinden, wohin die Flugzeuge gerade fliegen, die sie am Himmel sehen. (Es gibt Apps, die tatsächlich solche Informationen ausgeben können). Oder das autistische Kind ist völlig vernarrt in ein bestimmtes Spiel - wer sagt denn, dass es das einzige Kind in der Klasse ist, das das Spiel toll findet? 

- Beim Aufgaben geben (wie z. B. Milchverkauf) könnte man immer noch ein zweites Kind mit derselben Aufgabe betrauen, sodass der autistische Schüler schrittweise immer mehr Kinder kennenlernt und sich vielleicht auch gut mit ihnen versteht. 

Wichtig: Wenn sich die Lehrkraft und die Eltern dafür entscheiden, das autistische Kind während der Pausenzeiten in seiner Interaktion mit Gleichaltrigen zu fördern, ist es immer immens wichtig, das Kind nicht mit der Situation alleine zu lassen. Es bedarf auf jeden Fall (besonders am Anfang) einer Bezugsperson, die ein besonderes Auge auf die beiden Schüler haben und im Konfliktfall oder Missverständnis sofort eingreifen können. Außerdem muss darauf geachtet werden, dass das autistische Kind durch die soziale Interaktion nicht überfordert oder gar überreizt wird. Sobald es anfängt erschöpft zu wirken, muss die Interaktion beendet werden. Remember: die Pausen sind hauptsächlich zur Erholung da...

Ich hoffe, ihr konntet den einen oder anderen Tipp für euch mitnehmen oder zumindest besser verstehen, warum das autistische Kind in eurem Umfeld sich immer wieder über die Pause beklagt, etc.

Habt einen angenehmen Tag!
Anne

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