Autismus und Umzüge

Guten Tag,

in dem Beitrag "Ordnung und Autismus" habe ich schon mal angedeutet, dass autistische Menschen es nicht besonders gut haben können, wenn Dinge, die immer an einem bestimmten Platz sind, plötzlich woanders sind. Ich habe zum Beispiel immer eine kleine Krise gekriegt, wenn ich aus der Schule gekommen bin und meine Mutti mein Zimmer umgeräumt hat. Das Kinderzimmer ist natürlich der persönliche Rückzugsort, da sind Veränderungen natürlich grundsätzlich schwierig, aber ich vermute, dass das Hauptproblem die "Überraschung" war. Ich konnte mich ja nicht darauf einstellen, dass das Zimmer nach dem Schulbesuch anders aussehen wird, ich war ja nicht dabei. In meiner eigenen Wohnung habe ich tatsächlich auch schon mal umgeräumt - und zwar komplett. Aber: ich habe mich dafür entschieden und habe aktiv an dem umräumen mitgewirkt - ich konnte von Anfang bis Ende nachvollziehen, wie die Veränderung entstanden ist und ich wusste in meinem Kopf schon, wie ich es haben möchte. Dazu sei aber zu sagen: das bleibt jetzt auch wieder bis zum Sankt Nimmerleinstag. Ich stehe einfach so gar nicht auf Veränderungen... Und ich weiß, dass vielen Autisten das auch so geht. 

Ich habe in meinem Leben schon einige Umzüge erlebt, sowohl große (Umzüge von einer Wohnung in eine andere), als auch kleinere (Umzüge mit der Ausbildung in einen anderen Raum, Umzug in ein anderes Zimmer innerhalb des Wohnheims) und ich kann sagen: ich fand keinen davon besonders angenehm. Grundsätzlich ist es natürlich immer am günstigsten, wenn möglichst alles konstant bleibt und sich im Leben von autistischen Menschen nicht viel ändert. Nichtsdestotrotz sind Umzüge eben manchmal notwendig, da müssen auch Autisten durch. Man kann aber versuchen, ihnen solche Notwendigkeiten so angenehm und leicht wie möglich zu gestalten. Heute soll es genau darum gehen. Ich werde beschreiben, wie die Umzüge für mich waren und was grundsätzlich helfen kann, damit es möglichst stressfrei abläuft. 

  • Fremde Umgebung schon mal vorab besichtigen
Das oberste Gebot bei Veränderungen aller Art ist vorsichtige Gewöhnung. Wenn also ein Umzug ansteht und man hat im besten Fall schon den Schlüssel zu dem neuen Zimmer/der neuen Wohnung sollte man auf jeden Fall schon mal mit dem autistischen Menschen hingehen und sich den neuen Lebensraum anschauen. Viele denken, dass es nur eine sinnlose Belastung darstellt und machen es genau aus dem Grund nicht, aber es ist keine Belastung. Es ist eher sogar hilfreich, wenn wir schon mal sehen wo es hingeht. Besprecht mit uns doch schon mal, wo unser Zimmer/Wohnbereich sein wird und wo zum Beispiel das Bett hinkommen könnte. Oder wo das Sofa im Wohnzimmer stehen soll. Zugegeben, es ist schwierig sich vorzustellen, wie es mal aussieht, vor allem wenn noch fremde Möbel drin stehen oder alles leer ist, aber es ist auf jeden Fall einen Versuch wert. Nichts ist schlimmer, als ins kalte Wasser geworfen zu werden. 
  • Für den Autisten wichtige Dinge schon mal in die neue Wohnung bringen
Das war in der Ausbildung meistens das Mittel der Wahl. Immer am Ende des Lehrjahres fand ein Praktikum statt. Die meisten Azubis haben es an ihrem Heimatort gemacht, man konnte es aber auch in Dresden machen, wofür ich mich zwei mal entschieden habe. Da in der Zeit wo so wenig Azubis da sind, das Wohnheim immer schön leer war, wurde diese für die Grundreinigung genutzt. Damit die Reinigungskräfte also freie Bahn hatten, mussten wir eigentlich immer in einen fremden Raum auf einer anderen Etage ziehen. Das war für mich immer wirklich richtig doof, weil ich ihn ja noch nicht kannte und meinen eigenen Raum gewohnt war. Was haben wir gemacht? Ich liebe Sand (hatte auch schon in der Ausbildung mehrere Gefäße im Zimmer stehen, einen mit Sand, ein Eimer zum reinsieben und ein Gefäß um die gröberen Bestandteile auskippen zu können.). Wir haben also den Sand in das neue Zimmer verfrachtet (meistens hatten wir einige Zeit vorher schon mal den Schlüssel um in Ruhe umziehen zu können.). Wenn ich also zum Sand wollte, musste ich zwangsläufig in mein Übergangszimmer (wir sind nach den Ferien immer wieder in unser normales Zimmer gezogen) und konnte mich so Stück für Stück immer ein bisschen daran gewöhnen und ein bisschen Zeit darin verbringen. 
  • Immer wieder die neue Wohnung aufsuchen. 
Das geht auf dieselbe Theorie wie die wichtigen Dinge in die neue Wohnung verfrachten, zurück. Der Plan ist, dass der Autist sich an die neue Umgebung gewöhnt und sich nicht erst dort wieder findet, wenn er muss, weil der Umzug stattgefunden hat. Das ist eine Zwickmühle, denn meistens ist der Aufenthalt in der fremden Umgebung nicht besonders angenehm und wir wollen dort meistens nicht unbedingt hin. So ging es mir auch, als wir von einer Wohnung in ein Haus gezogen sind. Es war ein wunderschönes Grundstück und Haus, aber ich bin dort eigentlich nie freiwillig mit hin, obwohl ich genug Gelegenheiten gehabt hätte (wir haben das Haus renoviert, waren also eigentlich recht häufig vor Ort). Bei der Renovierung konnte ich nicht so richtig helfen, wurde aber von meiner Mutti und ihrem damaligen Partner regelmäßig eingeladen, doch einfach mal mit hinzukommen und einfach zu grillen oder so. Ich habe die Einladung meistens ausgeschlagen und wenn ich mal dort war, dann eigentlich immer nur draußen, und wenn ich mal drinnen war, habe ich mich dort nie länger als 5 -  10 min aufgehalten, dann bin ich wieder raus oder woanders hin. Es wäre sinnvoll und gut gewesen, mich länger dort drin aufzuhalten um mich daran gewöhnen zu können, aber die Umgebung war einfach zu fremd. 
  • Der Autist sollte so viel wie möglich mitwirken. 
Wenn der autistische Mensch mit dabei hilft, Kisten zu packen und in das neue Wohnumfeld zu transportieren oder vor Ort irgendwelche kleineren handwerklichen Aufgaben übernimmt, sieht er dabei zu, wie die Veränderungen geschehen und wird nicht davon überrumpelt. Er bewirkt sie quasi selbst und sieht wie die Wohnung sich langsam aber sicher mit den gewohnten Möbeln füllt. Wenn neue Möbel angeschafft werden, sollte man natürlich immer versuchen, dass er sie mit aussucht und mit aufbaut. Ich weiß, dass das schwerer betroffene Autisten nicht so gut können und die Umsetzung an der Stelle schwierig sein kann, aber eigentlich gibt es doch immer irgendwelche kleinen Aufgaben, die auch sie übernehmen können. Beim eigentlichen Umzug natürlich auch, denn das signalisiert: okay, wir verlassen jetzt gemeinsam die alte Wohnung und bringen alles in die neue und dann übernachten wir dort. 
  • Von der alten Wohnung verabschieden.
Mag sich kindisch anhören, mir hat es aber immer geholfen, mich bei der alten Wohnung und den dortigen Räumlichkeiten zu verabschieden. Ich bin noch mal durch die leere Wohnung und habe Revue passieren lassen, was ich dort alles erlebt habe und zu realisieren, dass sie jetzt leer ist und ich dort nicht mehr wohne. Es hat mir gezeigt: hier sind keine Gegenstände mehr, die zu meinem Leben gehören, das Leben wird jetzt woanders stattfinden. Vielleicht kann man das auch mit einem Begrüßungsritual der neuen Wohnung verknüpfen. Hierzu fällt mir persönlich jetzt nichts ein, aber ihr seid garantiert kreativ!
  • Neue Schulwege/Arbeitswege üben, Umgebung erkunden
Je nachdem wie weit man von dem ursprünglichen Wohnort wegzieht, können sich natürlich die gewohnten Wege die der Autist früher benutzt hat, verändern. Es kann hilfreich sein, wenn man die schon mal gemeinsam abläuft/abfährt und schon mal erkundet, wo man am neuen Wohnort einen guten Bäcker hat, wo man einkaufen gehen kann, etc. Alles was schon mal bekannt ist, sorgt für Sicherheit und der neue Ort ist direkt schon etwas weniger fremd. Und zwar vollkommen unabhängig wie weit die Wohnung an sich ist! 

Ihr merkt: das wichtigste sind Gewöhnung an die Umgebung und das spürbar machen der Veränderungen, durch aktives Mitwirken an dem Umzug. Der wichtigste Faktor würde ich sagen, ist dabei "Zeit". Es ist von Autist zu Autist unterschiedlich, wie schnell er sich an Veränderungen anpassen/gewöhnen kann. Man sollte also grundsätzlich immer eine Menge Zeit einplanen für die Gewöhnung, damit möglichst so wenig Stress wie möglich entsteht. Außerdem sollte man auf keinen Fall irgendwelche Hauruck-Aktionen fahren, sondern kleinschrittig vorgehen. Wenn es der Autist zunächst erst mal nur 3 min in der künftigen Bleibe aushält, dann ist das so. Dann sollte man ihn auch nicht zwingen, sich dort länger aufzuhalten. Man kann aber vorsichtig anregen, dass man beim nächsten Mal ein bisschen länger bleibt. Vielleicht könnte man sich in dem neuen Zimmer schon mal mit dem Spezialinteresse beschäftigen? Am günstigsten ist es natürlich immer, wenn sich der autistische Mensch freiwillig für längere Zeit dort aufhält, wo es hingehen soll. 

Vielleicht hilft euch der eine oder andere Tipp. Falls ihr selbst autistisch seid, könnt ihr natürlich selber für euch den einen oder anderen Kniff verwenden. Habt einen schönen Tag!

Anne




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